Gemeinsame Stellungnahme von KBV, BÄK, KZBV, BZÄK, ABDA und DKG
An den Bundesminister für Gesundheit
An den Bundesminister für Arbeit und Soziales
An die Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz
Unter dem Dach der europäischen Chemikalienagentur (ECHA) werden unterschiedliche Stoffe einer kontinuierlichen Bewertung unterzogen, ob von ihnen Gefahren für die menschliche Gesundheit und die Umwelt ausgehen. Aktuell läuft eine solche Bewertung des Stoffes Ethanol. Diese Risikobewertung ist in eine entscheidende Phase getreten. Beobachter des Verfahrens sehen eine konkrete Gefahr, dass Ethanol von der ECHA im kommenden Jahr gemäß den Vorgaben der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 (EU-CLP-Verordnung) als reproduktionstoxisch gemäß der Kategorie 2 oder sogar als sogenannter CMR-Stoff der höchsten Gefahrenkategorie 1, d. h. als kanzerogen (C), mutagen (M) und reproduktionstoxisch (R) eingestuft wird.
Die Bundesärztekammer, die Kassenärztliche Bundesvereinigung, die Bundeszahnärztekammer, die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung, die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände sowie die Deutsche Krankenhausgesellschaft betrachten diese Entwicklung mit großer Sorge. Aufgrund seiner überlegenen Wirksamkeit ist Ethanol als Desinfektionsmittel in Arzt- und Zahnarztpraxen sowie in Krankenhäusern von essenzieller Bedeutung für einen wirksamen Infektionsschutz. Ethanol ist sowohl für den Schutz der Patientinnen und Patienten als auch des Gesundheitspersonals unabdingbar. In diesem Zusammenhang verweisen wir auf die diesem Schreiben beigefügte wissenschaftliche Publikation: „Medical associations and expert committees urge that ethanol be approved as a virucidal active substance for use in hand antiseptics under the European Biocidal Products Regulation, without a CMR classification“ (Kramer et al. 2024).
Ethanol ist seit nahezu 50 Jahren von der WHO als „unverzichtbares Arzneimittel“ anerkannt (WHO, Model List of Essential Medicines, 2023). Lediglich bei oraler Aufnahme hat Ethanol eine nachgewiesene kanzerogene Wirkung, weshalb der Alkohol in Desinfektionsmitteln vergällt wird, um eine orale Aufnahme zu verhindern. Wir halten es für entscheidend, dass bei der Gefährdungsbeurteilung und Einstufung von Ethanol auch der Anwendungsbereich betrachtet wird. Für die Einstufung als Desinfektionsmittel darf die durch eine orale Aufnahme bestehende Gefährdung nicht maßgeblich sein. Die Erfahrung zeigt, dass die durch Händedesinfektion aufgenommenen Mengen an Ethanol unterhalb toxikologisch relevanter Konzentrationen liegen. Nicht zuletzt belegt die seit vielen Jahrzehnten tagtäglich mehrfach durchgeführte Anwendung von Händeund Flächendesinfektionsmitteln in der Medizin, dass diese Art der Anwendung gefahrlos möglich ist. Vor allem aber ist darauf hinzuweisen, dass Ethanol gegenüber anderen Alkoholen eine überlegene Wirksamkeit gegen bestimmte klinisch relevante Viren aufweist.
Aus den genannten Gründen wenden wir uns mit der dringenden Bitte an Sie, sich dieser Thematik, sowohl national als auch insbesondere auf europäischer Ebene anzunehmen, um Ethanol als Wirkstoff für Desinfektionsmittel zu erhalten. In dem laufenden Entscheidungsprozess darf das übergeordnete Interesse der Patientinnen und Patienten sowie des Gesundheitspersonals an einem wirksamen Infektionsschutz nicht außer Acht gelassen werden. Die uneingeschränkte Nutzung von Ethanol als Desinfektionsmittel ist zur Infektionsprävention unerlässlich.
Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung
Dr. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer
Martin Hendges, Vorstandsvorsitzender der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung
Prof. Dr. Christoph Benz, Präsident der Bundeszahnärztekammer
Gabriele Regina Overwiening, Präsidentin der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände
Dr. Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft e.V.
Berlin, den 9. Januar 2025
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