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In Abhängigkeit vom Lebensalter und der Gebissentwicklung werden verschiedene kieferorthopädische Anomalien früher oder später behandelt.
Milchgebiss (3. – 6. Lebensjahr)
Im Alter von etwa drei Jahren sind alle Milchzähne durchgebrochen. Das Milchgebiss ist dann mit 20 Milchzähnen vollständig entwickelt und kann lückig oder nicht lückig sein. Im Zeitraum vom 3. bis zum 6. Lebensjahr spricht man auch von der Nutz- oder Gebrauchsperiode des Milchgebisses.
Bestimmte Anomalien sollten bereits im Milchgebiss korrigiert werden. Hierzu zählt z. B. der Vorbiss des Unterkiefers. Durch die frühzeitige Behandlung kann in diesen Fällen eine Verschlimmerung der Anomalie vermieden oder die Ausprägung der Anomalie reduziert werden. Auch ungünstige Angewohnheiten wie Daumenlutschen oder eine fehlerhafte Zungenpositionierung müssen frühzeitig erkannt und behandelt werden, damit sich das Gebiss regelrecht weiterentwickeln kann.
Voraussetzung für eine solche Frühbehandlung ist, dass das Kleinkind eine Behandlungsapparatur tolerieren und tragen kann. Mit einer solchen Behandlung soll nicht vor dem 4. Lebensjahr begonnen werden.
Eine besondere Patientengruppe sind Kinder mit Lippen-, Kiefer- Gaumenspalten, die häufig bereits zum Zeitpunkt der Geburt kieferorthopädisch mit einer Trink-/Funktionsplatte behandelt werden. Darüber hinaus gibt es weitere Patientengruppen mit kraniofazialen Anomalien, bei denen eine frühe Behandlung erforderlich ist.
Frühes Wechselgebiss (6. – 8. Lebensjahr)
Von einem frühen Wechselgebiss spricht man ab dem Durchbruch der ersten bleibenden Zähne. Dies sind in der Regel die Unterkieferfrontzähne und der erste bleibende, große Backenzahn. Auch im frühen Wechselgebiss kann eine kieferorthopädische Behandlung bereits angezeigt sein, wenn die Gefahr einer Wachstumsbehinderung besteht oder eine Verschlechterung der Anomalie droht. Dazu gehören z. B. schlechte Angewohnheiten, fehlerhaftes Schlucken, extrem vergrößerter Überbiss, Kreuzbiss oder auch der Vorbiss des Unterkiefers. Wenn Milchzähne vorzeitig z. B. durch Karies verloren gehen, kann es notwendig sein, einen Lückenhalter einzusetzen, damit der Platz für die bleibenden Zähne erhalten bleibt.
Spätes Wechselgebiss (10. – 15. Lebensjahr)
Das späte Wechselgebiss beginnt mit dem Durchbruch der bleibenden Zähne in der Stützzone; dazu zählen der Eckzahn sowie der erste und zweite kleine Backenzahn. Im Oberkiefer brechen die kleinen Backenzähne oft vor dem Eckzahn durch, im Unterkiefer bricht der Eckzahn häufig vor den kleinen Backenzähnen durch. Wenn in beiden Kiefern die Eckzähne und die kleinen Backenzähne durchgebrochen sind, erfolgt der Durchbruch des zweiten großen Backenzahns.
Im späten Wechselgebiss findet die kieferorthopädische Behandlung der meisten Anomalien statt, da hier auch eine Ausnutzung des Wachstums und eine Steuerung des Zahndurchbruchs möglich ist. Ferner ist von einer guten Kooperationsbereitschaft von Patientenseite auszugehen.
Typische Anomalien, die im späten Wechselgebiss behandelt werden, sind der vergrößerte Überbiss, der Platzmangel, der Platzüberschuss, die Anomalien der Zahnzahl, der offene Biss, der Vorbiss des Unterkiefers, die Einstellung nicht durchgebrochener Zähne oder auch der Tiefbiss.
Bleibendes Gebiss (ca. ab 16. Lebensjahr)
Wenn alle bleibenden Zähne vollständig durchgebrochen und mit den Zähnen im Gegenkiefer in Kontakt getreten sind, spricht man von einem bleibenden Gebiss. Der Durchbruch der Weisheitszähne unterliegt großen Schwankungsbreiten bezüglich des Durchbruchszeitpunktes, sodass häufig auch bereits von einem bleibenden Gebiss gesprochen wird, wenn die zweiten Backenzähne miteinander verzahnt sind. Weisheitszähne (dritte Backenzähne) sind auch beim Menschen die am häufigsten nicht angelegten Zähne. Ferner können Weisheitszähne auch verlagert sein oder nur zum Teil durchbrechen. Im bleibenden Gebiss erfolgt die Behandlung in der Regel mit festsitzenden kieferorthopädischen Apparaturen. Bei schweren Kieferfehllagen und fehlendem Restwachstum kann eine kieferorthopädisch/kieferchirurgische Kombinationstherapie notwendig werden, d. h. neben der kieferorthopädischen Positionierung der Zähne muss das Skelett von Unter- und/oder Oberkiefer in einer Operation in die richtige Position gebracht werden. Auch die kieferorthopädische Vorbehandlung für eine prothetische Versorgung gehört zu den Aufgaben im permanenten Gebiss.
Stand: Oktober 2024
Was übernimmt die Kasse?
Leistungspflicht der Krankenkassen für eine kieferorthopädische Behandlung
Versicherte haben Anspruch auf kieferorthopädische Versorgung in medizinisch begründeten Indikationsgruppen, bei denen eine Kiefer- oder Zahnfehlstellung vorliegt, die das Kauen, Beißen, Sprechen oder Atmen erheblich beeinträchtigt oder zu beeinträchtigen droht. Gemäß den Richtlinien des Bundesausschusses der Zahnärzte und Krankenkassen (heute bekannt als Gemeinsamer Bundesausschuss) für die kieferorthopädische Behandlung basiert die Leistungspflicht der Krankenkassen auf einem Klassifizierungssystem: den sogenannten Kieferorthopädischen Indikationsgruppen (KIG).
Das KIG-System sieht eine Einteilung der kieferorthopädischen Indikationsgruppen in fünf Behandlungsbedarfsgrade vor, die nach dem klinischen Befund und dem Ausmaß der Behandlungsbedürftigkeit unterschieden werden. Eine Leistungspflicht der Krankenkasse besteht bei Vorliegen der Behandlungsbedarfsgrade 3 bis 5, nicht hingegen bei Vorliegen der Behandlungsbedarfsgrade 1 oder 2.
Die Kosten für eine kieferorthopädische Behandlung, die nach Vollendung des 18. Lebensjahres begonnen wird, übernehmen gesetzliche Krankenkassen nicht. Davon ausgenommen sind Fälle schwerer Kieferanomalien, sofern eine Einstufung in vorgegebene Behandlungsbedarfsgrade vorliegt. In diesen Fällen ist die Erstellung eines aufeinander abgestimmten kieferchirurgisch/kieferorthopädischem Behandlungskonzept notwendig.
Gesetzlicher Eigenanteil im Rahmen einer kieferorthopädischen Behandlung – gemäß § 29 Abs. 2 SGBV
Versicherte leisten zu der kieferorthopädischen Behandlung einen Anteil von 20 % der Kosten an den Vertragszahnarzt. Dies gilt nicht für im Zusammenhang mit kieferorthopädischer Behandlung erbrachten konservierend-chirurgische- und Röntgenleistungen. Befinden sich zwei versicherte Kinder, die bei Beginn der Behandlung das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und mit Ihren Erziehungsberechtigten in einem Haushalt leben, in kieferorthopädischer Behandlung, beträgt der Anteil für das zweite und jedes weiter Kind 10 %.
Der Vertragszahnarzt rechnet die kieferorthopädische Behandlung abzüglich des gesetzlichen Versichertenanteils mit der Kassenzahnärztlichen Vereinigung ab. Wenn die Behandlung in dem durch den Behandlungsplan bestimmten medizinisch erforderlichen Umfang abgeschlossen worden ist, zahlt die Krankenkasse den von den Versicherten geleisteten Anteil an die Versicherten zurück.
Gesetzliche Mehrkostenregelung im Bereich Kieferorthopädie – gemäß § 29 Abs. 5 bis 7 SGB V
Gesetzlich Versicherte haben einen Anspruch auf eine zuzahlungsfreie kieferorthopädische Behandlung. Im Rahmen der Aufklärung über mögliche Behandlungsalternativen seitens des Vertragszahnarztes können gesetzlich Versicherte allerdings sogenannte Mehrleistungen oder Zusatzleistungen wählen - gemäß dem Katalog kieferorthopädischer Mehrleistungen und Zusatzleistungen Anlage B BMV-Z.
Im Folgenden werden die zuvor genannten Begriffe näher erläutert und für die jeweiligen Leistungen einige Beispiele aufgeführt:
Mehrleistungen sind Leistungen, welche mit den im einheitlichen Bewertungsmaßstab für zahnärztliche Leistungen (BEMA) vergleichbar sind und sich lediglich in der Durchführungsart oder durch die eingesetzten Behandlungsmittel unterscheiden. Die GKV-Leistung(en) wird dann mit der Krankenkasse abgerechnet und der Versicherte trägt nur die Mehrkosten, welche durch die Mehrleistung(en) entstehen.
Mehrleistungen sind u. a. Brackets aus Keramik oder Kunststoff, Minibrackets, Lingualbrackets, Selbstligierende Brackets oder Bögen aus einem anderen Material als Edelstahl. Mehrleistungen fallen auch im Rahmen der Entfernung von Keramik- oder Lingualbrackets sowie bei der digitalen Abformung an.
Zusatzleistungen sind kieferorthopädische Leistungen, welche entweder im einheitlichen Bewertungsmaßstab für zahnärztliche Leistungen (BEMA) nicht abgebildet sind oder die dort festgelegten quantitativen Grenzen überschreiten. Der Versicherte hat diese Kosten vollständig zu tragen.
Zusatzleistungen sind u. a. über die GKV-Leistung hinausgehende Röntgenaufnahmen, die Eingliederung- und Ausgliederung oder Wiederbefestigung von Oberkiefer-Retainern (ggf. auch von Unterkiefer-Retainern), die Eingliederung und Ausgliederung anderer ergänzender festsitzender Apparaturen.
Vereinbarung und Erklärung von Mehrleistungen und Zusatzleistungen sowie anderer Leistungen
Wünschen Versicherte im Rahmen der kieferorthopädischen Behandlungen Mehrleistungen und Zusatzleistungen sowie ggf. andere Leistungen (Leistungen, die im Zusammenhang mit der kieferorthopädischen Behandlung erbracht werden) werden diese Leistungen zwischen dem Kieferorthopäden und dem Versicherten auf einem verbindlich anzuwendenden Formular (Vordruck 4d Anlage 14a BMV-Z) vorab vereinbart.