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Zahn- und Kieferfehlstellungen können genetisch bedingt sein, sie können aber auch im Laufe der Jahre z. B. durch Fehlfunktionen oder äußere Einflüsse entstehen.
Bei einer korrekten Zahnstellung und Kieferlage passen Skelett und Zähne von Ober- und Unterkiefer in allen drei Raumebenen harmonisch zusammen.
Im Alter von 10 Jahren treten folgende Anomalien in absteigender Häufigkeit auf:
- Platzmangel/Zahnengstand,
- vergrößerter Überbiss/vergrößerte Frontzahnstufe,
- Kreuzbiss/Schmalkiefer,
- tiefer Biss/Deckbiss,
- Platzüberschuss/Lücken,
- Anomalien der Zahnzahl,
- offener Biss,
- Vorbiss des Unterkiefers,
- nicht durchgebrochene Zähne (retinierte Zähne).
Platzmangel / Zahnengstand
Ein Zahnengstand bzw. Platzmangel kann dadurch bedingt sein, dass die Zähne in Relation zum Kiefer zu breit sind, so dass der Platz auf dem Kiefer nicht ausreicht, dass die Zähne nebeneinander in korrekter Position stehen. Ferner können u. a. durch vorzeitigen Milchzahnverlust oder Karies im Bereich der Seitenzähne Vorwanderungen der hinteren Seitenzähne auftreten. Dadurch wird der Platz für die noch nicht durchgebrochenen kleinen Backenzähne und Eckzähne eingeengt. Diese brechen dann häufig gar nicht oder nicht an der richtigen Stelle im Mund durch. Auch im jungen Erwachsenenalter kann durch Umbauvorgänge im Kiefer ein Engstand im Bereich der unteren Frontzähne neu auftreten.
Ein zu kleiner Unterkiefer, ein zu großer Oberkiefer, zu weit vorstehende Schneidezähne und / oder nach hinten gekippte untere Schneidezähne führen zu einer vergrößerten Frontzahnstufe / vergrößertem Überbiss. Beim vergrößerten Überbiss ist die Abstützung der unteren Frontzähne an den hinteren Flächen der oberen Frontzähne nicht mehr vorhanden. Durch den fehlenden Kontakt ist die Abbeißfunktion eingeschränkt und die Zähne und der Zahnhalteapparat können überlastet werden. Es besteht zudem die Gefahr, dass die oberen Frontzähne bei einem Sturz durch das Hervorstehen und die häufig fehlende Lippenbedeckung als erstes beschädigt werden.
Kreuzbiss / Schmalkiefer
Im regelrechten Gebiss beißen die oberen Eck- und Backenzähne weiter außen als die unteren. Beim Kreuzbiss verhält sich dies genau umgekehrt. Die oberen Seitenzähne beißen dann etwas weiter innen (zungenwärts) als es der normalen Stellung entspricht.
Ursächlich für einen Kreuzbiss sind neben Zahnkippungen insbesondere auch Breitenunterschiede des Skeletts von Ober- und Unterkiefer.
Bei einseitigen Vorkommen eines Kreuzbisses im Seitenzahngebiet kann der Unterkiefer nach einer Seite hin verschoben werden und auch asymmetrisch wachsen.
Tiefer Biss / Deckbiss
Bei einem korrekten Gebiss überragen die oberen Frontzähne die unteren Frontzähne um ca. 2 bis 3 Millimeter beim Zusammenbeißen. Beim Tiefbiss überlappen die oberen Frontzähne die unteren mehr als normal.
Bei extremer Ausprägung beißen die unteren Frontzähne direkt in den Gaumen und können zu einer Entzündung und Schädigung des Zahnhalteapparates im Bereich der oberen Schneidzähne führen. Eine besondere Form des tiefen Bisses ist der sogenannte Deckbiss, bei dem die oberen Schneidzähne die unteren Frontzähne vollständig verdecken.
Platzüberschuss / Lücken
Bei fehlenden oder zu kleinen Zähnen mit relativ zu breiten Kiefern können Lücken entstehen.
Bei tief ansetzendem oberen Lippenbändchen können die mittleren Schneidezähne dadurch auseinandergedrängt werden. Die dabei entstehende zentrale Lücke wird auch Diastema mediale genannt. In diesem Falle kann es notwendig sein, dass obere Lippenbändchen chirurgisch zu versetzen.
Anomalien der Zahnzahl
Im bleibenden Gebiss können ein oder mehrere Zähne nicht angelegt sein oder auch überzählige Zähne vorhanden sein. Man spricht dann von einer Anomalie der Zahnzahl. Bei den Nichtanlagen von Zähnen fehlen meist die unteren und oberen kleinen Backenzähne (Prämolaren), sowie die oberen seitlichen Schneidezähne. Seltener sind auch andere Zähne nicht angelegt. Nichtanlagen oder überzählige Zähne sind u. a. genetisch bedingt.
Offener Biss
Beim offenen Biss besteht zwischen den oberen und unteren Zähnen beim Zubeißen in bestimmten Regionen kein Kontakt. Ein offener Biss kann frontal, seitlich oder in beiden Regionen auftreten. Ursächlich für einen offenen Biss können Verhaltensweisen wie Daumenlutschen, Fehlfunktionen der Zunge, anomales Schlucken oder Wachstumsstörungen in Ober- und Unterkiefer sein. Wachstumsstörungen der Kiefer führen zu einem skelettal bedingten offenen Biss. Durch den fehlenden Zahnkontakt ist die Abbeißfunktion deutlich eingeschränkt und es kann zu Schwierigkeiten beim Sprechen und beim Schließen der Lippen kommen.
Vorbiss des Unterkiefers
Die Ursachen eines Vorbisses sind vielfältig. In einigen Fällen besteht ein zu großer Unterkiefer, in anderen Fällen bleibt der Oberkiefer in seinem Wachstum zurück. Gemeinsam ist, dass die unteren Schneidzähne vor die oberen beißen, wodurch die Abbeißfunktion gestört wird. Ursächlich für einen Vorbiss können Zahnfehlstellungen oder Abweichungen des Skeletts von Ober- und Unterkiefer sein. Häufig besteht auch eine Kombination aus beidem. Beim unteren Vorbiss können die Frontzähne ungünstig belastet werden.
Nicht durchgebrochene Zähne (retinierte Zähne)
Verbleiben Zähne über die normale Durchbruchszeit hinaus im Kieferknochen, spricht man von einer Retention. Weichen diese Zähne zusätzlich in ihrer Durchbruchsrichtung und Position ab, liegt eine Verlagerung vor. Von Retentionen und Verlagerungen sind häufig die Weisheitszähne und die oberen Eckzähne betroffen. Retinierte und verlagerte Weisheitszähne müssen häufig chirurgisch entfernt werden, während retinierte und verlagerte Eckzähne aufgrund ihrer Bedeutung im menschlichen Gebiss nach chirurgischer Freilegung kieferorthopädisch über einen Zugmechanismus in den Zahnbogen eingestellt werden.
Stand: Oktober 2024
Was übernimmt die Kasse?
Leistungspflicht der Krankenkassen für eine kieferorthopädische Behandlung
Versicherte haben Anspruch auf kieferorthopädische Versorgung in medizinisch begründeten Indikationsgruppen, bei denen eine Kiefer- oder Zahnfehlstellung vorliegt, die das Kauen, Beißen, Sprechen oder Atmen erheblich beeinträchtigt oder zu beeinträchtigen droht. Gemäß den Richtlinien des Bundesausschusses der Zahnärzte und Krankenkassen (heute bekannt als Gemeinsamer Bundesausschuss) für die kieferorthopädische Behandlung basiert die Leistungspflicht der Krankenkassen auf einem Klassifizierungssystem: den sogenannten Kieferorthopädischen Indikationsgruppen (KIG).
Das KIG-System sieht eine Einteilung der kieferorthopädischen Indikationsgruppen in fünf Behandlungsbedarfsgrade vor, die nach dem klinischen Befund und dem Ausmaß der Behandlungsbedürftigkeit unterschieden werden. Eine Leistungspflicht der Krankenkasse besteht bei Vorliegen der Behandlungsbedarfsgrade 3 bis 5, nicht hingegen bei Vorliegen der Behandlungsbedarfsgrade 1 oder 2.
Die Kosten für eine kieferorthopädische Behandlung, die nach Vollendung des 18. Lebensjahres begonnen wird, übernehmen gesetzliche Krankenkassen nicht. Davon ausgenommen sind Fälle schwerer Kieferanomalien, sofern eine Einstufung in vorgegebene Behandlungsbedarfsgrade vorliegt. In diesen Fällen ist die Erstellung eines aufeinander abgestimmten kieferchirurgisch/kieferorthopädischem Behandlungskonzept notwendig.
Gesetzlicher Eigenanteil im Rahmen einer kieferorthopädischen Behandlung – gemäß § 29 Abs. 2 SGBV
Versicherte leisten zu der kieferorthopädischen Behandlung einen Anteil von 20 % der Kosten an den Vertragszahnarzt. Dies gilt nicht für im Zusammenhang mit kieferorthopädischer Behandlung erbrachten konservierend-chirurgische- und Röntgenleistungen. Befinden sich zwei versicherte Kinder, die bei Beginn der Behandlung das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und mit Ihren Erziehungsberechtigten in einem Haushalt leben, in kieferorthopädischer Behandlung, beträgt der Anteil für das zweite und jedes weiter Kind 10 %.
Der Vertragszahnarzt rechnet die kieferorthopädische Behandlung abzüglich des gesetzlichen Versichertenanteils mit der Kassenzahnärztlichen Vereinigung ab. Wenn die Behandlung in dem durch den Behandlungsplan bestimmten medizinisch erforderlichen Umfang abgeschlossen worden ist, zahlt die Krankenkasse den von den Versicherten geleisteten Anteil an die Versicherten zurück.
Gesetzliche Mehrkostenregelung im Bereich Kieferorthopädie – gemäß § 29 Abs. 5 bis 7 SGB V
Gesetzlich Versicherte haben einen Anspruch auf eine zuzahlungsfreie kieferorthopädische Behandlung. Im Rahmen der Aufklärung über mögliche Behandlungsalternativen seitens des Vertragszahnarztes können gesetzlich Versicherte allerdings sogenannte Mehrleistungen oder Zusatzleistungen wählen - gemäß dem Katalog kieferorthopädischer Mehrleistungen und Zusatzleistungen Anlage B BMV-Z.
Im Folgenden werden die zuvor genannten Begriffe näher erläutert und für die jeweiligen Leistungen einige Beispiele aufgeführt:
Mehrleistungen sind Leistungen, welche mit den im einheitlichen Bewertungsmaßstab für zahnärztliche Leistungen (BEMA) vergleichbar sind und sich lediglich in der Durchführungsart oder durch die eingesetzten Behandlungsmittel unterscheiden. Die GKV-Leistung(en) wird dann mit der Krankenkasse abgerechnet und der Versicherte trägt nur die Mehrkosten, welche durch die Mehrleistung(en) entstehen.
Mehrleistungen sind u. a. Brackets aus Keramik oder Kunststoff, Minibrackets, Lingualbrackets, Selbstligierende Brackets oder Bögen aus einem anderen Material als Edelstahl. Mehrleistungen fallen auch im Rahmen der Entfernung von Keramik- oder Lingualbrackets sowie bei der digitalen Abformung an.
Zusatzleistungen sind kieferorthopädische Leistungen, welche entweder im einheitlichen Bewertungsmaßstab für zahnärztliche Leistungen (BEMA) nicht abgebildet sind oder die dort festgelegten quantitativen Grenzen überschreiten. Der Versicherte hat diese Kosten vollständig zu tragen.
Zusatzleistungen sind u. a. über die GKV-Leistung hinausgehende Röntgenaufnahmen, die Eingliederung- und Ausgliederung oder Wiederbefestigung von Oberkiefer-Retainern (ggf. auch von Unterkiefer-Retainern), die Eingliederung und Ausgliederung anderer ergänzender festsitzender Apparaturen.
Vereinbarung und Erklärung von Mehrleistungen und Zusatzleistungen sowie anderer Leistungen
Wünschen Versicherte im Rahmen der kieferorthopädischen Behandlungen Mehrleistungen und Zusatzleistungen sowie ggf. andere Leistungen (Leistungen, die im Zusammenhang mit der kieferorthopädischen Behandlung erbracht werden) werden diese Leistungen zwischen dem Kieferorthopäden und dem Versicherten auf einem verbindlich anzuwendenden Formular (Vordruck 4d Anlage 14a BMV-Z) vorab vereinbart.