Weichenstellung
Vorwort
Die Deutsche Bahn warb vor einiger Zeit mit dem Slogan „Unternehmen Zukunft“. Die Kernbotschaft dieses Claims lässt sich auch auf die Vertragszahnärzteschaft übertragen. Denn für die Sicherstellung der flächendeckenden, wohnortnahen und qualitativ hochwertigen Versorgung der Patientinnen und Patienten sind – jetzt und künftig – die richtigen Weichenstellungen unerlässlich. Das gilt gleichermaßen für die bedarfsgerechte Ausgestaltung des Leistungskataloges der gesetzlichen Krankenkassen, für die wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen von Praxen sowie für die Gewährleistung einer vitalen Versorgungslandschaft.
Die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung und die bundesweit 17 Kassenzahnärztlichen Vereinigungen setzen sich tagtäglich dafür ein, dass die Versorgung der Menschen in Deutschland – im übertragenden Sinn – immer freie Fahrt hat. Damit übernehmen die vertragszahnärztlichen Selbstverwaltungskörperschaften auf Bundes- und Landesebene die Gewähr dafür, dass das hohe Niveau der Versorgung hierzulande erhalten und ausgebaut wird und zugleich vollumfänglich den gesetzlichen und vertraglichen Vorgaben und Erfordernissen entspricht.
Gelebte Gemeinwohlorientierung und ein ethischer Anspruch sind dabei Ausdruck gesamtgesellschaftlicher Verantwortung, zu der sich der Berufsstand bekennt und die er auch gegen Widerstände konsequent vertritt und wahrnimmt. Verantwortung zu tragen und sie im Versorgungsgeschehen in den zahnärztlichen Praxen umzusetzen, ist ein komplexer Prozess, der jedoch nicht automatisch zum Erfolg führt. Er muss vielmehr Schritt für Schritt geplant, ausgearbeitet und dann durch die richtigen Weichenstellungen präzise realisiert werden. Die damit verbundenen Herausforderungen waren für die vertragszahnärztliche Selbstverwaltung noch nie ein Grund, die Verantwortung für die Sicherstellung der Versorgung abzulehnen – im Gegenteil. Ausgewählte Beispiele der vergangenen Monate verdeutlichen das:
Flexibilisierung von Anstellungsgrenzen in Praxen: Niedergelassene Vertragszahnärztinnen und Vertragszahnärzte in Einzelpraxen oder Berufsausübungsgemeinschaften können seit Februar 2019 mehr angestellte Zahnärzte beschäftigen. Das ist das Ergebnis einer Einigung von KZBV und GKV-Spitzenverband als Partner der Bundesmantelverträge. Diese Regelung ermöglicht eine patientenorientierte Weiterentwicklung der Versorgung und trägt gleichzeitig den Wünschen junger Zahnärztinnen und Zahnärzten Rechnung, die zu Beginn ihres Berufslebens oder vor einer Niederlassung häufig zunächst als Angestellte im Team arbeiten wollen. Für die Angestellten werden zudem flexible Arbeitszeitmodelle ermöglicht. Die erweiterten Anstellungsmöglichkeiten räumen Einzelpraxen und Berufsausübungsgemeinschaften eine größere Flexibilität bei der Ausgestaltung der Praxisorganisation und der Zusammenarbeit von Angestellten ein.
Beschränkung der Gründungsbefugnis von Krankenhäusern für zahnärztliche MVZ: KZBV und KZVen haben sich mit Erfolg dafür eingesetzt, dass der Gesetzgeber im Terminservice- und Versorgungsgesetz unter anderem eine gestaffelte Beschränkung der Gründungsbefugnis von Krankenhäusern für zahnärztliche MVZ (Z-MVZ) festgeschrieben hat. Die entsprechende Vorgabe richtet sich nach dem Versorgungsgrad des jeweiligen Planungsbereiches. Versorgungsfremde Investoren – zum Teil mit Sitz in Übersee und in Steueroasen – hatten zuletzt verstärkt Krankenhäuser meist ohne Bezug zur zahnärztlichen Versorgung gekauft, um über dieses Vehikel arztgruppengleiche MVZ in Gestalt reiner Z-MVZ zu gründen und Dentalketten aufbauen zu können. Mit dem erklärten Ziel, die bestehende gute vertragszahnärztliche Versorgung im Interesse der Versicherten auch künftig zu erhalten, hat der Gesetzgeber im TSVG die richtige Antwort auf die zuletzt ausufernde Investorenaktivität formuliert. Die Regelung wird dazu beitragen, die nötige Anbietervielfalt in einem gut austarierten System zu gewährleisten und die Versorgung der Patienten überall wohnortnah und flächendeckend sicherzustellen. Zugleich wird der bislang gänzlich ungebremste Zustrom von Fremdinvestoren und Private Equity-Fonds, die überwiegend von Renditeerwartungen getrieben seit einiger Zeit massiv in die heimische Versorgung drängen, ordnungspolitisch ausgewogen und sinnvoll reguliert.
ECC und Pflege – Erfolgreicher Einsatz für vulnerable Gruppen: Gesetzlich krankenversicherten Kleinkindern zwischen dem 6. und dem vollendeten 33. Lebensmonat stehen seit Juli 2019 drei zahnärztliche Früherkennungsuntersuchungen sowie die Anwendung von Fluoridlack zur Zahnschmelzhärtung als Kassenleistungen zur Verfügung. Erstmals werden so auch Kinder unter drei Jahren in das umfassende zahnärztliche Präventionsangebot einbezogen. Die drei Untersuchungen sollen insbesondere das Auftreten frühkindlicher Karies – auch „Nuckelflaschenkaries“ genannt – vermeiden. Damit wird das Fundament für eine dauerhafte Zahn- und Mundgesundheit gelegt. Denn Karies, Zahnfleischentzündungen, Zahnverlust und daraus resultierende Folgeerkrankungen lassen sich von Anfang an vermeiden! Die KZBV hatte sich als stimmberechtigte Trägerorganisation im Gemeinsamen Bundesausschuss für den entsprechenden Richtlinienbeschluss und damit für die Umsetzung des Versorgungskonzeptes der Zahnärzteschaft zur zahnmedizinischen Frühprävention bei Kleinkindern viele Jahre lang und letztlich erfolgreich eingesetzt. Frühkindliche Karies (Early childhood caries, kurz ECC) gilt als häufigste chronische Krankheit bei Kindern im Vorschulalter.
Für die zahnärztliche Versorgung von gesetzlich krankenversicherten Pflegebedürftigen und Menschen mit Beeinträchtigungen stehen bereits seit dem vergangenen Jahr neue präventive Leistungen zur Verfügung. Nach intensiven Verhandlungen hatten sich KZBV und GKV-Spitzenverband auf entsprechende Leistungspositionen für Vertragszahnärztinnen und Vertragszahnärzte geeinigt. Auf Grundlage dieses Ergebnisses können sie seitdem Pflegebedürftigen und Menschen mit Behinderung besondere Zuwendung und Betreuung zukommen lassen, da diese Patienten vielfach nicht oder nicht mehr in der Lage sind, für ihre Mundgesundheit selbständig und eigenverantwortlich zu sorgen.
Die Vertragszahnärzteschaft trägt mit diesen und vielen weiteren Initiativen, Konzepten und Beschlüssen ihren Teil als Berufsstand dazu bei, allen Menschen in Deutschland eine bedarfsgerechte Versorgung zukommen zu lassen und möglichst gleichwertige Lebensverhältnisse in sämtlichen Bereichen der Gesellschaft zu schaffen – ein Anspruch, der auch von der Politik immer wieder betont wird. Die Verantwortung hierfür zu übernehmen, setzt in Zukunft aber wieder mehr Handlungsfreiheit für die Selbstverwaltung voraus. Denn nur im Rahmen einer funktionierenden Selbstverwaltung als Ausdruck gelebter Eigenverantwortung können wir alles dafür tun, dass die Versorgung der Patientinnen und Patienten, die Belange der Praxen sowie der Sicherstellungsauftrag der Vertragszahnärzteschaft stets aufs Neue auf das richtige Gleis gesetzt werden.
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