Vorwort
Seitdem der Entwurf zum geplanten GKV-Finanzstabilisierungsgesetz bekannt wurde, rollt eine Protestwelle gegen das Vorhaben durch das Land. Die KZBV wurde zusammen mit den Kassenzahnärztlichen Vereinigungen nicht müde, auf die fatalen Folgen des Gesetzes aufmerksam zu machen. Dem Berufsstand geht es aber nicht um eine Blockadehaltung gegen eine grundlegende Reform der GKV-Finanzierung – diese ist überfällig. Dieses Gesetz ist jedoch völlig ungeeignet, die GKV-Finanzen zukunftsfest auszugestalten. Wir Vertragszahnärztinnen und -zahnärzte beteiligen uns gerne konstruktiv an den Diskussionen zur Stabilisierung der Finanzen und bringen dabei Know-how und Expertise ein. Zunächst geht es uns darum, gravierende Schäden für die Patientenversorgung abzuwenden. Instrumente wie Budgetierung und Deckelung halten wir grundsätzlich nicht für zielführend. Denn das seitens der Politik immer wieder proklamierte Ziel von Kosteneinsparungen ohne Leistungskürzungen wird damit verfehlt. Die Zahnärzteschaft hat in der Vergangenheit bewiesen, dass es auch ohne Deckelung nicht zu einer Explosion der Behandlungskosten kommt – im Gegenteil, ist doch der Anteil der zahnärztlichen Leistungen an den Gesamtkosten der GKV in den vergangenen Jahren kontinuierlich gesunken. Gleichzeitig ist der Berufsstand Vorreiter bei Prävention und Prophylaxe.
Eine besondere Bedeutung kommt der in 2021 etablierten, neuen Parodontitis-Versorgungsstrecke zu. Sie ist für die Mund- und Allgemeingesundheit ein Quantensprung. Unbehandelt ist die Volkskrankheit Parodontitis die häufigste Ursache für vermeidbaren Zahnverlust. Mit der auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhenden, modernen Parodontaltherapie kann es uns gelingen, die Mundgesundheit auf ein neues Niveau zu bringen. Mit der im Gesetz enthaltenen strikten Budgetierung für 2023 und 2024 werden der Versorgung die erst kürzlich zugesagten Mittel für die neue, präventionsorientierte Parodontitistherapie wieder entzogen. Fast alle der rund 30 Millionen Patientinnen und Patienten, die an der Volkskrankheit Parodontitis leiden, werden damit eines Leistungsanspruches beraubt, der erst im Vorjahr in den Leistungskatalog aufgenommen und als ein Meilenstein für die Mund- und Allgemeingesundheit begrüßt wurde. Durch die im Bundestag auf den letzten Metern eingebrachten Änderungen werden alleine die Finanzmittel für die Behandlung von Pflegebedürftigen und Menschen mit Behinderung zur Verfügung gestellt. So wichtig die Versorgung vulnerabler Gruppen ist, eine Ausnahme für die Parodontitistherapie hätte alle Versicherten einschließen müssen. Die weit überwiegende Mehrheit der Patienten, die dringend auf eine wirksame und auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft basierende Behandlung angewiesen ist, bleibt damit auf der Strecke. Das, was uns die Ampel hier präsentiert, ist nichts anderes als ein Feigenblatt und ein Frontalangriff auf die präventive Patientenversorgung!
Wie wichtig die neue Parodontitisbehandlung für Patienten und Praxen ist, belegen auch die Abrufzahlen unserer aufwändig produzierten Erklärvideos zu der neuen Behandlung, zu standespolitischen und wissenschaftlichen Hintergründen, zu Abrechnungsmodalitäten sowie zu den Regelungen für vulnerable Gruppen. Die Filme mit einer Sendezeit von fast 1,5 Stunden wurden bislang zehntausendfach abgerufen.
Von großer Bedeutung für die Standespolitik war auch die Bundestagswahl in 2021. Zuvor hatte die Vertreterversammlung der KZBV mit der Agenda Mundgesundheit 2021-2025 die gesundheitspolitischen Positionen der Vertragszahnärzteschaft für die Sicherstellung und Weiterentwicklung einer wohnortnahen und präventionsorientierten Versorgung beschlossen. Mit derAgenda richten wir den Blick nach vorne – auf die Themen, die wir voranbringen wollen und die Herausforderungen, vor denen das Versorgungssystem steht.
Ein zentrales Thema, das die Vertragszahnärzteschaft beschäftigt, ist der nach wie vor große Handlungsbedarf bei Investoren-MVZ. Seit Jahren belegen wir mit Analysen und Gutachten die fatalen Folgen der Einflussnahme versorgungsfremder Investoren auf die Patientenversorgung. Ein aktuelles Gutachten der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns belegt die Richtigkeit der seinerzeitigen im Auftrag der KZBV erstellten Untersuchungen. Auch die Gesundheitsministerkonferenz teilt die Sorgen der Ärzte- und Zahnärzteschaft und hat dringenden gesetzgeberischen Handlungsbedarf angemahnt. Wir schließen uns den Forderungen an, bestehende Gesetze passgenau fortzuentwickeln. Darüber hinaus sollte für mehr Transparenz und Patientenschutz auf Bundes- und Landesebene ein verpflichtendes Register für MVZ geschaffen werden. Angaben von gesellschaftsrechtlichen Eigentümerstrukturen auf Praxisschild und Website müssen verpflichtend werden.
Mit der Einführung der Unterkieferprotrusionsschiene als Bestandteil der GKV-Versorgung steht für die Behandlung von erwachsenen gesetzlich versicherten Patienten, die an obstruktiver Schlafapnoe leiden, eine weitere wichtige Option als Zweitlinientherapie zur Verfügung, wenn eine Überdrucktherapie nicht erfolgreich durchgeführt werden kann. Ärzte und Zahnärzte gestalten die Versorgung abgestimmt und arbeitsteilig, was eine besonders hohe Qualität der Behandlung mit sich bringt.
Für das E-Rezept wurde im Juni der weitere Fahrplan beschlossen. Zahnarztpraxen in Schleswig-Holstein und Westfalen-Lippe sollten die elektronische Verordnung als erste in ein flächendeckendes Verfahren führen. Der Rollout in den beiden Regionen ist zum September gestartet. Vorbehaltlich des Erreichens bestimmter Qualitätskriterien sah die weitere Planung vor, dass das E-Rezept ab dem 1. Dezember in Schleswig-Holstein und Westfalen-Lippe verpflichtend und dann in sechs weiteren Bundesländern sukzessive eingeführt wird.
Allerdings hat sich die KZBV im November dann wie die Ärzteschaft aufgrund von Rückschlägen bei dem Projekt für einen vorläufigen Stopp des weiteren Rollouts ausgesprochen, bis entsprechende Rahmenbedingungen für eine Fortführung durch gematik und BMG geschaffen wurden. Zuletzt war lediglich die Marke von etwa einer halben Million E-Rezepten überschritten worden, die vielfach nicht digital, sondern nur per Token-Ausdruck in Apotheken eingelöst werden konnten – ein Medienbruch, der Patienten und Berufsstand kaum vermittelbar ist. Benötigt wird daher zunächst ein belastbares und funktionierendes Umsetzungskonzept. Die gematik muss jetzt die geforderten digitalen Einlösewege sicher und datenschutzkonform umsetzen, bevor der bundesweite Rollout fortgesetzt werden kann. Praxen, die das E-Rezept bereits nutzen, können das weiterhin tun.
Zutiefst schockiert hat die Zahnärzteschaft der brutale Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Auch wir verurteilen diesen völkerrechtswidrigen Überfall auf das Schärfste und erklären uns mit den Menschen in der Ukraine solidarisch. Unmittelbar seit Beginn des Krieges stehen Zahnärzte bereit, um Flüchtlinge schnell und unbürokratisch in Deutschland zu versorgen. Um möglichst zielgerichtet Hilfen aller Art und Unterkünfte bereit zu stellen sowie humanitäre Hilfe zu leisten, hat das Hilfswerk Deutscher Zahnärzte zu Spenden aufgerufen. KZBV und die KZVen unterstützen diesen Aufruf.
Mit Inkrafttreten der neuen Impfverordnung des BMG sind seit Mai die rechtlichen Voraussetzungen dafür gegeben, dass auch Zahnärzte in Praxen gegen das Coronavirus impfen können. Zuvor hatte die KZBV mit erheblichem Aufwand Voraussetzungen für ein solches Angebot geschaffen.
Unser Gesundheitswesen verändert sich in nie gekanntem Tempo. Wer in diesem vielschichtigen Wandel die Versorgung zukunftsfest gestalten will, kann nicht nur bei der Bewahrung des Bestehenden haltmachen. Unser Anspruch ist eine Standespolitik, die die Versorgung der Patienten durch Zahnarztpraxen konkret verbessert und sich als Angebot an alle Institutionen der Selbstverwaltung versteht, diesen Weg mit uns gemeinsam zu gehen. Wie die KZBV und die 17 KZVen sich für einen solchen progressiven und patientenorientierten Versorgungsansatz stark machen und wie wir diesen Ansatz weiterentwickeln wollen, dafür präsentiert der Geschäftsbericht eine Vielzahl von Beispielen, zukunftsweisenden Impulsen und Initiativen.
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