Vorwort
Erfolge fallen nicht vom Himmel, sondern gründen auf Expertise, Einsatzwillen, Durchsetzungsvermögen, Überzeugungskraft, Glaubwürdigkeit und nicht zuletzt auf Teamarbeit. Diese Werte wollen wir als neu gewählter Vorstand der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung repräsentieren und Tag für Tag leben, um die vertragszahnärztliche Versorgung in den kommenden Jahren weiterhin bedarfsgerecht, patientenorientiert und zukunftsfähig zu gestalten.
Nicht alleine die einschneidenden Ereignisse der vergangenen Jahre wie die Covid-19-Pandemie mit all ihren Auswirkungen sowie der menschenverachtende Ukrainekrieg und dessen Folgen wie die Energiekrise, sondern auch die steigende Inflation stellen uns dabei weiterhin vor große Herausforderungen. Hinzu kommt der Umschwung in der Gesundheitspolitik, der unter der jetzigen politischen Führung in all seinen Facetten und mit voller Härte für die Patientenversorgung und unseren Berufsstand zu Tage tritt.
Mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) hat uns der Gesetzgeber im vergangenen Jahr einen toxischen Polit-Cocktail serviert, der die Versorgung unserer Patientinnen und Patienten insbesondere in bestimmten Leistungsbereichen gefährdet, den wirtschaftlichen Druck in den Praxen weiter erhöht und zudem die flächendeckende Versorgung in einigen Regionen ernsthaft infrage stellt. Besonders bitter ist, dass durch die im GKV-FinStG enthaltene strikte Budgetierung dem zahnärztlichen Bereich die notwendigen finanziellen Mittel für die neue, präventionsorientierte Parodontitistherapie entzogen werden. Dabei leidet jeder zweite Erwachsene in Deutschland an einer behandlungsbedürftigen Parodontitis. Unbehandelt ist sie die häufigste Ursache für vermeidbaren Zahnverlust und steht in Wechselwirkung mit schweren Allgemeinerkrankungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes. Hier werden die Negativfolgen für die Patientenversorgung von der Politik sehenden Auges in Kauf genommen. Unsere Reaktion ist daher die bundesweite Kampagne „Zähne zeigen“, mit der wir lautstark auf die Folgen dieser verantwortungslosen Politik aufmerksam machen und alle zahnärztlichen Kolleginnen und Kollegen, deren Mitarbeitende in den Praxen sowie die Patientinnen und Patienten zum Protest aufrufen.
Gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie (DG PARO) haben wir Ende September unseren PAR-Evaluationsbericht veröffentlicht. Der Bericht belegt erstmals anhand konkreter Daten die verheerenden Auswirkungen des GKV-FinStG auf die Parodontitisversorgung in Deutschland.
Eine weitere Entwicklung, die unsere Patientenversorgung nachhaltig bedroht, ist der weiterhin dynamische Zustrom von Investoren in die zahnärztliche Versorgung. Unsere Analysen belegen anhand klarer Fakten, dass Medizinische Versorgungszentren, die von versorgungsfremden Investoren betrieben werden – sog. iMVZ –, keinen nennenswerten Beitrag zur Versorgung in strukturschwachen, ländlichen Gebieten liefern. Im Vergleich zu bewährten Praxisformen ist zudem in iMVZ eine Tendenz zu Über- und Fehlversorgungen zu erkennen. An der Versorgung von pflegebedürftigen Menschen und Menschen mit Behinderung im Rahmen der aufsuchenden Versorgung nehmen iMVZ kaum teil; gleiches gilt für die Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit präventiven Leistungen der Individualprophylaxe. Unsere Vorschläge zur Eindämmung solcher Strukturen liegen seit Langem auf dem Tisch. Der Bundesrat hat ebenfalls die Gefahren, die von iMVZ ausgehen, erkannt und sich mit einer entsprechenden Entschließung zur Regulierung klar positioniert. Nun ist es an der Bundesregierung, hier die richtigen Weichen zu stellen und damit endlich im Sinne des Patientenwohls Taten folgen zu lassen.
Alle Hand voll zu tun ist auch hinsichtlich der fortschreitenden Digitalisierung im Gesundheitswesen. Hier fährt der Gesetzgeber weiterhin den Kurs, mittels Fristen und Sanktionen Anwendungen in die Versorgung drücken zu wollen, deren Nutzen im Praxisalltag oft äußerst gering ist. Die Praxen brauchen jedoch eine stabile, störungsfreie Telematikinfrastruktur sowie digitale Lösungen, die die Versorgung mit möglichst niedrigem Verwaltungsaufwand verbessern. Der Mehrwert der TI und ihrer Anwendungen für die Versorgung muss für die Praxen sichtbar und im Praxisalltag erlebbar werden. Mit unserem digitalen Leuchtturmprojekt, dem elektronischen Beantragungs- und Genehmigungsverfahren – Zahnärzte (EBZ), haben wir gezeigt, wie gute Digitalisierung jenseits der herkömmlichen TI aussehen kann. Das Verfahren wurde in Eigeninitiative der Zahnärzteschaft gemeinsam mit den Krankenkassen aufgesetzt und ist damit eine unmittelbar aus der Versorgung heraus konzipierte Anwendung – zielgenau zugeschnitten auf die besonderen Anforderungen von Zahnarztpraxen.
Lösungen wie das EBZ tragen nachhaltig zum Bürokratieabbau in den Praxen bei, der ein zentrales Anliegen unserer Arbeit ist. Steigende Bürokratielasten wirken nicht zuletzt auf niederlassungswillige Zahnärztinnen und Zahnärzte in hohem Maße abschreckend. Ein gründungsfreundliches Umfeld entsteht erst dann, wenn die bürokratischen Anforderungen möglichst gering sind und Zahnärztinnen und Zahnärzte endlich wieder mehr Zeit für die Patientenversorgung haben. Die Bundesregierung ist auch hier gefordert, auf Basis unserer Vorschläge schnelle und pragmatische Lösungen zur Bürokratiereduktion vorzulegen und den im Koalitionsvertrag vereinbarten Bürokratieabbau im Gesundheitswesen zeitnah umzusetzen.
Die aufgezeigten politischen Fehlentwicklungen werden uns nicht davon abhalten, uns den gesundheitspolitischen Herausforderungen zu stellen. In unserer „Agenda Mundgesundheit 2021-2025“ haben wir Ziele festgelegt die wir – verbunden mit unseren zentralen Erwartungen an die Politik – mit aller Vehemenz weiterhin vortragen und deren Umsetzung unmissverständlich einfordern. Denn nach wie vor stehen wir für eine kontinuierliche Verbesserung der Mundgesundheit, für eine wohnortnahe und flächendeckende Versorgung, für eine starke Selbstverwaltung und für ein duales Versicherungssystem. Der gemeinsame Auftrag der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung und der 17 Kassenzahnärztlichen Vereinigungen lautet unter anderem, Chancen für Versorgungsverbesserungen konsequent zu nutzen – im Interesse von Patientinnen und Patienten sowie Praxen gleichermaßen. Nur so lässt sich das hohe Niveau der vertragszahnärztlichen Versorgung und unseres Gesundheitswesens insgesamt auch in Zukunft sichern. Die Vertragszahnärzteschaft steht dabei seit mehr als 60 Jahren für Kontinuität und Weitblick. Das ist unser Selbstverständnis, das ist unser Weg. Dafür reichen wir auch weiterhin allen konstruktiven Kräften des Berufsstandes, der Selbstverwaltung und der Politik die Hand. Wir handeln dabei in der Kontinuität des Bewährten, mit dem Blick voraus für Neues. Und wir sind stolz, sagen zu können: Dafür arbeiten wir mit aller Kraft!
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