Rede Dr. Karl-Georg Pochhammer
Es gilt das gesprochene Wort.
Sehr geehrter Herr Vorsitzender,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
auch ich möchte Sie zu unserer Vertreterversammlung begrüßen. Herzlich willkommen in Mainz.
Telematik
Hier in dieser Stadt wurde 1450 die herkömmliche Methode der Buchproduktion aus den Angeln gehoben. Gutenbergs Buchdruck löste in Europa eine Medienrevolution aus. Die digitale Gesundheitsrevolution lässt dagegen auch im Jahr 2023 auf sich warten. Und daran wird auch die im März vorgelegte Digitalisierungsstrategie des BMG nichts ändern. Etwas Revolutionäres sucht man dort vergebens. Vielmehr hat man den Eindruck, dass man im BMG in die Zeit vor Johannes Gutenberg zurückgefallen ist, in der Bücher durch das Abschreiben von Hand produziert worden sind.
So finden sich in der Strategie zahlreiche aufgewärmte Formulierungen: „Sektorenübergreifende Zusammenarbeit“, „Hybride Versorgungsprozesse“ oder „Stärkung der Forschungsdatenlandschaft“. Neu ist das nicht. Trotzdem spricht der Minister von einem Turbo-Schub für die Digitalisierung und einer zukunftsfesten Versorgung der Menschen. Zum wolkigen Gerede von Fortschrittlichkeit und Zukunft passt die Broschüre mit den vielen bunten Übersichten und Bildern, die das BMG veröffentlicht hat. In Summe hat die Erstellung der Digitalstrategie 750.000 Euro gekostet.
Gleichzeitig erklärt uns das BMG, dass für die Information der Bürger und Versicherten in Sachen elektronischer Patientenakte (ePA) und E-Rezept kein Geld im Haushalt ist. Das ist ein Unding und deshalb haben wir Ihnen dazu heute auch einen Antrag des Vorstands vorgelegt, damit das BMG endlich seine Informationspflichten erfüllt.
Apropos ePA und E-Rezept. Für beide Anwendungen wurden bereits in der Digitalisierungsstrategie Zielmarken definiert, seit gestern liegt nun auch eine nicht offizielle Version des Referentenentwurfs zu den beiden Digitalgesetzen vor. Die ePA für alle – so der neue Name der ePA per Opt-Out – soll am 15. Januar 2025 kommen. Und das E-Rezept soll schon ab dem 1. Januar 2024 zum Standard in der Arzneimittelversorgung werden. Damit das beim E-Rezept gelingt, agiert das BMG in der bekannten Weise: Statt zu überzeugen, arbeitet es mit Sanktionen. Zahnarztpraxen müssen gegenüber ihrer KZV nachweisen, dass sie in der Lage sind, E-Rezepte zu verordnen. Andernfalls wird die Vergütung pauschal um 1 Prozent gekürzt – und das 2 Monate nach Verkündigung des Gesetzes, also ggfs. auch vor dem 1. Januar 2024.
Zudem wird bestimmt, dass es keine stufenweise Einführung des E-Rezepts mehr geben wird. Stattdessen gibt es am 1. Januar 2024 einen „Big Bang“. Dann müssen alle Zahnarzt- und Arztpraxen das E-Rezept nutzen. Das ist mit Blick auf das jährliche Verordnungsvolumen (Stichwort Lastentest) ein unnötiges Risiko. Die bisher innerhalb von 18 Monaten ausgestellten E-Rezepte entsprechend dem Verordnungsvolumen, dass an normalen Werktagen innerhalb weniger Stunden in Zahnarzt- und vor allem Arztpraxen verordnet wird! Und in Richtung der Vertragszahnärzteschaft ist die Sanktion ein weiterer Affront.
Nur zur Erinnerung: Dass das E-Rezept ein Akzeptanzproblem hat, daran trägt das BMG mit seinem Zickzack-Kurs eine große Mitschuld. Verpflichtung zum 1.1.2022, viel zu späte Verschiebung des Termins, Testphase hier, Testphase dort, keine Reaktion auf die konstruktiven Hinweise der Sektororganisationen, keine Unterstützung, keine Information der Versicherten. Stattdessen jetzt „Big Bang“-Start und Sanktionen.
Anstatt erstmal zu schauen, ob der neue Einlöseweg mittels eGK die Akzeptanz erhöht, sendet das BMG die Botschaft: Wir starten so oder so. Und wenn ihr nicht mitmacht, dann bestrafen wir euch. Ausgerechnet beim E-Rezept, bei dem die Vertragszahnärzteschaft ein Maximum an Dialog- und Kooperationsbereitschaft gezeigt hat. Das BMG hat anfangs, als kaum eine Arztpraxis mitgemacht hat, gerne auf die Zahnärzte verwiesen, um zu sagen, es klappt doch mit dem E-Rezept.
Das scheint nun vergessen. Statt Dank und Augenhöhe gibt es die nächste Direktive und eine neue Sanktion. Das werden wir uns nicht gefallen lassen. Der Vorstand hat Ihnen deshalb einen Antrag vorgelegt, mit dem wir unsere Überzeugung nochmal deutlich machen wollen. Das BMG macht beim E-Rezept die gleichen Fehler wie bei der ePA. Die steht groß und breit im Mittelpunkt des neuen Digitalisierungsgesetztes.
Im Januar 2025 soll die neue ePA – die ePA für alle – kommen. Das ist eine Zeitplanung, die nichts als Unsicherheit schafft. Man könnte auch spötteln: Das ist eine Zeitplanung made by gematik. Das BMG tut mit der Festlegung des Termins einfach so, als ob es schon mehr oder weniger klar wäre, wie die ePA für alle künftig ausschauen wird. Das Gegenteil ist richtig. Anfang des Jahres hat die gematik mehr als ein Dutzend Workshops durchgeführt. Die Eckpunkte hat die gematik noch zusammentragen, eine gemeinsame Verabschiedung ist schon nicht mehr gelungen. Stattdessen hat das BMG übernommen und nun im Referentenentwurf zahlreiche Vorgaben gemacht.
Die Gesellschafter werden über Wochen hinweg von der gematik zu ihrer Meinung befragt, damit das BMG am Ende einfach vorgibt, was getan werden soll. Ein Beispiel dafür ist das geplante Medikationsmanagement, das in der ePA verfügbar sein soll. Jeder, der die ePA nutzt, soll eine Medikationsübersicht mit den jeweiligen Verordnungs- und Dispensierdaten erhalten. Zur konkreten Umsetzung konnte in den Workshop der gematik keine gemeinsame Position gefunden werden. Und auch im umfangreichen Referentenentwurf steckt der Teufel in den Details. Wir werden uns das sehr genau anschauen und uns gegen jedwede Umsetzung wehren, bei der am Ende händische Nachpflegearbeiten für die Praxen entstehen.
Auch bei den Widerspruchsregelungen für die Versicherten fehlt es an Klarheit. Bedeutet ein „Ja“ zur ePA auch ein „Ja“ zur Sekundärdatennutzung ist nur eine von vielen Fragen, die in diesem Kontext noch nicht zur Ruhe gekommen sind. Geld für die Information der Versicherten ist laut BMG nicht vorhanden, da bin ich gespannt, wie am Ende kommuniziert werden soll. Vermutlich sollen die Praxen wieder in die Bresche springen.
Das sind neuralgische Punkte: Patienten müssen darauf vertrauen können, dass mit ihren Daten verantwortungsbewusst umgegangen wird – Stichwort informationelle Selbstbestimmung. Und Zahnärzte müssen darauf vertrauen können, dass die ePA ihre Arbeit erleichtert – Stichwort User Experience. Darauf werden wir in unseren Stellungnahmen, in denen wir tiefer in die Details der Referentenentwürfe einsteigen werden, sehr genau achten. Damit keine Missverständnisse entstehen: Die starke Fokussierung des BMG auf die ePA ist richtig.
Aber wenn das BMG jetzt schon wieder zurück auf Los geht, dann sollten wir gründlich arbeiten und durchdachte Konzepte und Regelungen entwickeln – vor allem für die Befüllung, Zugriffssteuerung und die Forschungsdatenfreigabe. Das muss sauber projektiert werden. Von mir aus auch agil und iterativ – zwei der Lieblingswörter der gematik. Einverstanden, dann muss aber die Qualität der Features in den Vordergrund rücken. Das ist doch das Kernelement agilen Arbeitens. So schnell wie möglich Qualität liefern – darauf kommt es an. Und zusammen mit den Anwendern überprüfen, ob das, was produziert wird, wirklich ein Verkaufsschlager auf dem Markt werden kann. Stattdessen löst sich das BMG Schritt für Schritt von denjenigen, die die Produkte nutzen sollen.
Die gematik soll vollständig verstaatlicht und in eine nationale Agentur umgewandelt werden. Das wurde in der Digitalisierungsstrategie im März angekündigt. In den bekannt gewordenen Referentenentwürfen ist dies noch nicht enthalten. Das wird anscheinend in ein eigenes Gesetz ausgelagert, aber das BMG hat mehrfach klargemacht, dass es so kommen soll. Begründet wird das allen Ernstes damit, die Digitalisierung im Gesundheitswesen voranzutreiben und den von Partikularinteressen getriebenen Stillstand der Einführung medizinischer Anwendungen zu beenden. Das ist die Antwort des BMG auf eine kleine Anfrage im Bundestag. So denkt das BMG über die Selbstverwaltung.
Das ist schon ein interessanter Vorgang: Weil die Betroffenen mit den Ergebnissen unzufrieden sind, sollen sie künftig nicht mehr, sondern weniger Einfluss auf die Produktentwicklung haben. Auch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationspolitik (BSI) und der Bundesbeauftragte für Datenschutz (BfDI) sollen Einfluss verlieren. Das sieht man an ganz vielen Stellen in den Referentenentwürfen. Wo bislang Einvernehmen mit dem BSI und BfDI herzustellen war, reicht nun das Benehmen. Mit anderen Worten: Dem BMG ist nicht nur egal, was die Selbstverwaltung sagt, sondern auch, was die Datenschutz- und Sicherheitsprofis sagen.
Das ist brandgefährlich, denn damit droht die Gefahr, dass das Datenschutzniveau massiv abgesenkt wird. Ich frage mich wirklich, ob das BMG weiß, was es da tut. So schafft man keine Akzeptanz für die Digitalisierung. Weder bei den Versicherten, noch in der Selbstverwaltung. Die Anwender werden verprellt. Damit wird nicht nur das Grundprinzip agilen Arbeitens ad absurdum geführt, sondern auch der Selbstverwaltung klipp und klar die Tür gezeigt. Deutlicher könnte das BMG nicht zum Ausdruck bringen, dass die Digitalisierung des Gesundheitswesens kein Gemeinschaftsprojekt mehr ist.
So wird aus der Digitalisierungsstrategie pure Anmaßung. Deswegen müssen wir deutlich sagen, was wir davon halten. Der Vorstand hat Ihnen zur Verstaatlichung der gematik einen entsprechenden Antrag vorgelegt. Was das BMG plant, ist eine Gesundheitspolitik, die gegen die Selbstverwaltung arbeitet. Ergebnis ist außerdem eine Digitalisierung ohne gemeinsame Basis. Hinzu kommt, dass das BMG auch die materielle Basis für die Digitalisierung weiter zusammenstreicht. Nächste Woche sollte eigentlich DIE monatliche TI-Pauschale kommen.
Bevor ich darauf zu sprechen komme, möchte ich kurz die Historie der Verhandlungen zur TI-Finanzierung darlegen. Das ist wichtig für das Verständnis der aktuellen Situation. Wir haben uns die Verhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband nicht leichtgemacht. Auch das Scheitern der Gespräche haben wir nicht leichtfertig erklärt. Drei Monate haben wir verhandelt, Ideen entwickelt, diskutiert, verfeinert und verbessert. So weit, dass wir am Ende einen fertigen Vertragstext in der Schublade liegen hatten. Dieser trägt maßgeblich die Handschrift von Herrn Bristle, Frau Sure und Herrn Anthes, für deren Einsatz ich mich an dieser Stelle ganz herzlich bedanken möchte. Ich stelle das heraus, weil wir unser Heil mit gutem Recht auch in einer Fundamentalopposition hätten suchen können. Denn unser Spielraum war von Anfang an sehr klein.
Im Krankenhauspflegeentlastungsgesetz hat sich das BMG zum Schiedsrichter erklärt, wenn sich die Selbstverwaltung nicht einigen kann. Und ohne Wenn und Aber klargemacht: Die Pauschale muss runter. Ein neutraler Schiedsrichter sieht anders aus. Und so war es für den GKV-SV ein leichtes, unsere Forderung, die tatsächlichen Aufwendungen der Zahnarztpraxen für die TI zu berücksichtigen, mit dem Verweis auf den Willen des Gesetzgebers beiseite zu wischen. Trotzdem haben wir den Spagat versucht und konstruktiv auf eine Einigung hingearbeitet. Ohne Erfolg. Verantwortlich dafür ist das BMG.
Seine Idee ist: Die Preise der Industrie für die TI-Anwendungen müssen sinken. So weit, so gut. Das unterstützen wir. Niedrigere Preise – das ist sehr gut. Aber das BMG hat die völlig falschen Schlüsse gezogen, wie das gelingen kann. Anstatt die Industrie an die Kandare zu nehmen, läuft die Idee darauf hinaus, dass die Praxen weniger Geld für die TI erhalten. Offen bleibt die Frage, warum die Industrie deshalb ihre Preise senken sollte. Wir haben ja schon heute die Situation, dass viele Preise höher sind als die Pauschalen. Die Praxen können sich dagegen nicht wehren. Sie sind verpflichtet, die Anwendungen zu nutzen, also müssen sie kaufen. Und sie müssen das bei ihrem PVS-Anbieter tun, weil ein Softwarewechsel nicht so einfach von der Hand geht.
Unsere Haltung dazu ist klar: Das ist der völlig falsche Ansatz. Er verlagert die Belastung und die Risiken einseitig auf die Praxen. Die Politik wäre gut beraten, endlich vernünftige Voraussetzungen für die Selbstverwaltung zu schaffen, damit sach- und praxisnahe Finanzierungsvereinbarungen getroffen werden können. Dafür muss vor allem die Wechselwirkung mit der Preisbildung durch die Industrie beendet werden. Ein solcher Eingriff in den Markt wäre berechtigt, denn der Markt funktioniert nicht. Die Nachfrage wird künstlich durch Sanktionen erzeugt, sodass das Angebot niemanden überzeugen muss. Die Praxis muss kaufen. Hinzu kommt, dass es im PVS-Bereich keinen echten Anbieterwettbewerb gibt.
Die Partei des Ministers sieht im Regieren ansonsten eine prinzipiell schrankenlose Aufgabe. Die TI-Finanzierung will das BMG aber den Markt regeln lassen. Es erklärt, es würden Anreize geschaffen, damit Praxen ihre Produkte beim wirtschaftlichsten Anbieter beziehen könnten. Man hat dort offenbar beschlossen, die Realität einfach nicht mehr zur Kenntnis zu nehmen – frei nach Pippi Langstrumpf: "Ich mach‘ mir die Welt, wie sie mir gefällt...". Die Praxen können sich auf dem TI-Markt nicht nach Herzenslust bedienen und sich mal hier, mal dort das rauspicken, was sie am ehesten anspricht. Es gibt keinen Softwarewechsel per Knopfdruck oder die Möglichkeit, Komponenten frei zu kombinieren, und deshalb müssen viele Praxen mit unfairen Preisen leben.
Diese Regelungslücke zu schließen, wäre die Aufgabe der Politik. Auslöffeln müssen das aber die Praxen, die KZBV und die KZVen. Die KZBV soll nun Rahmenverträge mit der Industrie schließen. Nach den Verhandlungen mit den Krankenkassen sind das die nächsten Gespräche, die nicht auf Augenhöhe stattfinden und deshalb mit Ansage Scheitern werden. Mir fällt nicht ein Grund ein, warum die Industrie das aktuelle für sie so vorteilhafte System verlassen und sich in Rahmenverträge begeben sollte. Zwingen kann man sie nicht, dafür fehlt es an der gesetzlichen Grundlage. Nein, das ist ein Holzweg. Wenn der Markt nicht funktioniert, muss die Politik eingreifen und für ein Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage sorgen. Nur so kann eine faire Preisbildung entstehen.
Wir brauchen endlich einen neuen Rahmen, mit dem Preisvereinbarungen getroffen werden können, welche die Anbieter rechtlich binden. Mit dem Krankenhauspflegeentlastungsgesetz sind aber andere Fakten geschaffen worden. Und mit denen müssen wir nun klarkommen. Die neue TI-Pauschale sollte eigentlich am 1. Juli, also nächste Woche starten. Einzelheiten kennen wir aber immer noch nicht. Das BMG liefert nicht. So kann die Umsetzung der neuen Prozesse weder geplant noch durchgeführt werden. Vor allem fehlt es immer noch an klaren Regelungen zu den Übergangszeiten zwischen alten und neuem System. Das ist ein unhaltbarer Zustand, deshalb hat Ihnen der Vorstand dazu einen Antrag vorgelegt.
Dem BMG scheint überhaupt nicht klar zu sein, was für ein Chaos es da angerichtet hat – vor allem für Praxen, deren Konnektor im zweiten Halbjahr dieses Jahres ausläuft. Das ist also schon handwerklich nicht gut gemacht. Noch schlechter ist die Motivation, die hinter dem neuen Finanzierungsmodell steckt. Die neue monatliche TI-Pauschale schleift das Finanzierungssystem. Das BMG redet von Wirtschaftlichkeit. Was sie nicht sagen, aber meinen ist: Weniger Geld für Zahnarztpraxen.
Was das konkret bedeutet, kann man in den Vorschlägen des GKV-Spitzenverbands ablesen: kein Zins für die Vorfinanzierung, keine Anpassung der Pauschalen auf das aktuelle Preisniveau, kein Geld mehr für neue Updates, kein Geld mehr für mobile Kartenterminals und die Praxis schaut in die Röhre, wenn mal etwas nach Ablauf der Garantie kaputtgeht. Wir haben das mal durchgerechnet: Sollte das BMG dem GKV-SV-Vorschlag folgen, fehlen je nach Praxisgröße jeden Monat zwischen 140 bis 180 Euro zur Kostendeckung. Kumuliert auf fünf Jahre ergibt das ein Delta von 8.400 bis 10.800 Euro.
Daran sieht man: Das wäre eine Pauschale der systematischen Unterfinanzierung. Seit Monaten weisen wir auf die Gefahren hin – bereits im April haben wir uns mit neun konkreten Vorschlägen an das BMG gewandt, mit denen die negativen Auswirkungen der monatlichen TI-Pauschalen hätten ausgeglichen werden können. Im Juni haben wir nochmal nachgefasst und die problematische Zeitschiene hervorgehoben. Geantwortet hat das BMG bis heute nicht. Dialogbereitschaft und Sachorientierung scheinen das BMG nicht zu beeindrucken. Den Schaden hätten am Ende andere: Zahnarztpraxen und auch die KZVen, die den handwerklichen Murks umsetzen müssen.
Martin Hendges hat in seiner Antrittsrede im März gesagt, dass wir entscheiden müssen, ob wir weiter alleine auf Dialog und Fakten setzen, oder wir aufgefordert sind, die verfehlte Gesundheitspolitik dieser Regierungskoalition lauter und öffentlich zu kritisieren. In Sachen TI-Finanzierung sollten wir uns, wenn das BMG dem GKV-SV-Vorschlag folgt, keinen Zwang mehr anlegen. Wir werden nicht akzeptieren, dass die Unterfinanzierung der TI und damit auch der Digitalisierung immer nur zur Lasten der Praxen geht. Bitte unterstützen Sie den Antrag des Vorstands und lassen Sie uns ein klares Signal senden.
Im BMG muss endlich wieder das richtige Augenmaß für die Bedürfnisse der Vertragszahnärzteschaft gefunden werden. Ansonsten wächst die Unzufriedenheit mit der TI weiter. Ein sichtbarer Beleg dafür ist auch der Antrag der November-VV, den Zeitaufwand, der für die Bedienung der TI-Anwendungen in den Praxen entsteht, besser zu vergüten. Mit der Zeitmessstudie komme ich zum Ende meines Berichts zur Telematik. Wir haben uns angeschaut, ob der Aufwand mit Hilfe einer Zeitmessstudie oder anderer Bewertungsverfahren möglich ist. Um den Prüfauftrag ausreichend zu würdigen, haben wir die Machbarkeit einer solchen Untersuchung bewertet.
Und wir sind zu einem eindeutigen Ergebnis gekommen: Das Kosten-Nutzen-Verhältnis passt nicht. Ich will das an drei Aspekten verdeutlichen. Erstens. Die Anforderungen an eine solche Untersuchung sind sehr hoch. Der Mehraufwand für die Bedienung der TI-Aufwendungen besteht aus den Personalkosten der für solche Maßnahmen aufgewendeten zusätzlichen Zeit. Wenn wir uns entscheiden, dass zu messen, brauchen wir eine solide Zeitaufwandserfassung. Befragungsmethoden scheiden aus, denn damit lassen sich Zeiten nur äußerst schwer gültig erfassen. Das menschliche Zeitempfinden ist ein subjektives – und das TI-Empfinden gut bekannt.
Wir brauchen aber objektive Daten, denn die Ergebnisse sollen für Vergütungsverhandlungen genutzt werden. Die Erfassung der Zeit muss daher durch geschulte und eigens dafür abgestellte Beobachter erfolgen. Außerdem muss die Untersuchung repräsentativ sein. Regionale Besonderheiten können wir ausblenden, aber die technische Umsetzung in der jeweiligen Praxissoftware hat einen hohen Einfluss auf den zeitlichen Bedienaufwand. Und deshalb müssen wir uns unterschiedliche PVS anschauen, was dazu führt, dass mindestens 30 Zahnarztpraxen in die Untersuchung einbezogen werden müssen. Nur so können wir die Heterogenität in Sachen PVS, Praxisgröße und Praxis-IT-Landschaften abbilden.
Zweiter Aspekt. Die Untersuchung unterliegt großen Einschränkungen. Der Kern des Antrags zielt auf die Kosten, die durch den Funktionserhalt der TI-Anwendungen entstehen. Die Wartezeiten in den Hotlines, die Erfahrung, von A nach B geschickt zu werden, weil sich niemand zuständig fühlt. Das ist verständlich. Aber genau das können wir nicht messen, weil solche Tätigkeiten nicht zu den alltäglichen Abläufen in Zahnarztpraxen zählen. Eine direkte Beobachtung im Rahmen einer Zeitaufwandserfassung wäre purer Zufall. Würde man das in Betracht ziehen, würde sich nicht nur die Dauer der Beobachtung, sondern auch die Stichprobe verändern, weil wir dann weitere Einflussfaktoren betrachten müssten, wie z. B. die VPN-Dienstleister.
Um hier tatsächlich alle Konstellationen berücksichtigen zu können, bräuchten wir schon eine dreistellige Anzahl an teilnehmenden Praxen und einen ausreichend langen Beobachtungszeitraum. Eine andere wichtige Einschränkung ist: Wir können außer für das E-Rezept bei keiner Anwendung einen zeitlichen Vergleich zum Vorgängerprozess ziehen. Dieser ist aber erforderlich, um den Mehraufwand bestimmen zu können. Die anderen Anwendungen sind entweder neu eingeführt worden (ePA, NFDM, eMP) oder das abgelöste Verfahren ist vertraglich nicht mehr zulässig (VSDM, eAU, EBZ). Zum dritten Aspekt. Die Datenerfassung wird kostenintensiv.
Zieht man die Daten ähnlicher Projekt heran, dann kann pro Praxis mit rund 2.500 Euro Fremdkosten allein für die Zeitmessung gerechnet werden. Rechnet man die internen Aufwendungen für das Projektmanagement hinzu, kommt man in Summe auf eine Projektlaufzeit von ca. 6 Monaten und Kosten in Höhe von rund 90.000 Euro. Wohlgemerkt: wenn ich die Mindestzahl von 30 Zahnarztpraxen betrachte und davon ausgehe, dass die teilnehmenden Praxen keine Incentivierung erhalten.
Um also überhaupt verlässliche und reproduzierbare Zahlen generieren zu können, müssten wir viel Geld in die Hand nehmen. Und zwar nicht einmal, sondern mehrmals, denn falls der GKV-SV sich darauf einlassen würde, würde er von Zeit zu Zeit die Wiederholung der Untersuchung einfordern. Ob sich das am Ende lohnt, ist die Frage, die wir beantworten müssen. Für den Vorstand der KZBV gibt es gute Gründe, daran zu zweifeln. Zum einen, weil die Ergebnisse mit Blick auf die aktuelle Sparpolitik im Gesundheitswesen nicht verwendet werden können, um den BEMA anzupassen. Das gilt umso mehr, wenn sich die Untersuchung auf das E-Rezept konzentrieren muss.
Zum anderen ist ein Transfer auf die TI-Finanzierungsvereinbarung nicht möglich, weil es hier schlicht an der gesetzlichen Grundlage fehlt. Die aktuelle Situation, die ich eben dargelegt habe, legt nahe, dass es sich gar nicht lohnt, darüber nachdenken. In der Gesamtschau kann daher selbst eine Zeitmessstudie die Intention des VV-Antrags nicht erfüllen. Die Untersuchung würde sehr hohe Kosten erzeugen und ein Ergebnis hervorbringen, dessen Einfluss auf künftige Vergütungen als äußert gering bewertet werden darf.
Eine Befragung von Zahnärzten als alternative Variante wäre natürlich denkbar, ist mit Blick auf die Repräsentativität aber ebenfalls mit Aufwendungen verbunden und würde von vornherein Ergebnisse liefern, die maximal für standespolitische Zwecke genutzt werden könnten. Der Vorstand der KZBV rät der VV deshalb, von dem Vorhaben abzurücken. Das Ziel, die TI besser zu vergüten, geben wir damit nicht preis. Die aktuelle Entwicklung um die monatliche TI-Pauschale macht uns das schwer. Umso wichtiger ist es, die Kräfte zu bündeln.
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
der Start unserer Kampagne „Zähne zeigen“ hat natürlich auch die Arbeit im Bereich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit in den vergangenen Wochen und Monaten außerordentlich stark dominiert. Dazu hat Martin Hendges ja schon viel berichtet, sodaß ich das hier nicht wiederholen möchte. Ergänzen möchte ich nur, die Kampagne läuft in allen beteiligten KZBV-Abteilungen zusätzlich zum Tagesgeschäft und stellt damit eine ganz besondere Herausforderung für die gesamte KZBV dar – Überstunden sind in dieser Vorbereitungs-Hochphase der Kampagne in fast allen Abteilungen die Regel.
Kommen wir zu einem weiteren „Big Point“ unserer Arbeit der letzten Wochen: unsere Gemeinsame Konferenz der Öffentlichkeitsarbeiter, die Ende April in Köln das erste Mal seit 2019 stattfand – die Corona-Pandemie hatte uns ja mehrere Jahre lang einen Strich durch diese Rechnung gemacht – Auch die Konferenz stand ganz unter dem Thema „Zähne zeigen“. Doch auch in diesem Jahr versuchte man, uns ein paar Steine in den Weg zu legen, was die Durchführung anging. Das lag nun nicht mehr an Corona, sondern an einem kurzfristigen Streik von Bahn-Mitarbeitern und an Flughäfen, der die halbe Republik zum Stehen brachte!
Aber auch davon haben wir uns nicht sonderlich beeindrucken lassen: Aufgrund der widrigen Umstände, es war nicht klar, wer überhaupt noch in der Lage sein würde in Köln am Tagungsort anzukommen, wurde die Veranstaltung von der ÖA der KZBV innerhalb kürzester Zeit und mit maximalem Organisationsgrad zu einer Hybridveranstaltung umgestaltet, so dass die zahlreichen Teilnehmer sowohl vor Ort im Tagungshotel in Köln als auch über einen personalisierten Internetzugang die Vorträge verfolgen konnten. Das positive Feedback, das wir von den Teilnehmern während der Konferenz und im Nachgang erhalten haben, hat uns gezeigt, dass wir hier trotz der widrigen Umstände eine äußerst zufriedenstellende Lösung gefunden haben. Und auch die Veranstaltung selbst kam so gut an, dass angesichts der geleisteten Überzeugungsarbeit hinsichtlich der Kampagne der Wunsch aufkam, noch in diesem Herbst eine weitere GeKo abzuhalten, um sich über die Entwicklungen und die Erfahrungen zur Kampagne auszutauschen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
ein weiteres Thema, das uns nun bereits seit einigen Jahren begleitet und es wohl leider auch zukünftig noch eine Weile tun wird, ist die versorgungsschädliche dynamische Entwicklung der iMVZ. Ende April haben wir hierzu unser neues Analysepapier veröffentlicht. Die begleitende Pressemitteilung wurde dankbar und weitreichend von ärztlichen und zahnärztlichen Fachmedien, aber auch vereinzelten Publikumsmedien aufgegriffen, was einmal mehr die Relevanz unserer Arbeit in diesem Bereich unterstreicht. Weitere ausgewählte Themen der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, die ich abschließend noch kurz erwähnen möchte, waren die Veröffentlichung unserer Daten und Fakten, die erfolgreiche mediale Begleitung des EBZ-Starts und die fortlaufende Aktualisierung und Weiterentwicklung unserer Website vor allem hinsichtlich des Aspektes der Barrierefreiheit.
Damit möchte ich schließen und wünsche der VV noch einen guten Verlauf, konstruktive Gespräche und ein kollegiales Miteinander – vielen Dank
Bild: © KZBV/Knoff