Rede Martin Hendges
Es gilt das gesprochene Wort.
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
meine sehr verehrten Gäste,
ich darf Sie ganz herzlich hier in Bonn auch im Namen des Vorstandes zu unserer zweiten regulären Vertreterversammlung in dieser Amtsperiode willkommen heißen. Die heutige VV findet in einer Zeit statt, in der sich die Welt im Krisenmodus befindet. Klimakrise, Corona Pandemie, Krieg in der Ukraine, Krieg im Nahen Osten. Ein Despot lebt seine Großmachtfantasien aus und opfert hunderttausende von Menschen im eigenen Land wie auch in der Ukraine, als wären sie bedeutungslos wie Wegwerfartikel und eben keine Menschen. Eine Terrororganisation radikaler Islamisten überfällt Israel und schreckt nicht davor zurück, Menschen auf die barbarischste Art mit unvorstellbarer Grausamkeit zu schlachten, zu foltern, zu schänden und zu entführen und zeigt auch vor Kindern und Säuglingen kein Erbarmen.
In diesen turbulenten Zeiten, in einer Welt multipler und immer neuer Krisen erleben wir in Deutschland Regierungschaos – als Bürger dieses Landes, als Berufsstand und als Selbstverwaltung. Und das gilt leider insbesondere auch für den Gesundheitsbereich: Zielführende und versorgungsverbessernde Politik sieht anders aus! Denn wer bislang noch geglaubt hat, dass politische Entscheidungen etwas mit Würdigung von Fakten, Nachhaltigkeit, Weitblick über die Grenzen parteipolitischer Ideologien hinausgehend und mit dem klaren Ziel, etwas für dieses Land bewegen zu wollen, zu tun haben, der sieht sich spätestens bei der Gesetzgebung und den Vorhaben des BMG vom Gegenteil überzeugt.
Jetzt wird der ein oder andere von Ihnen sagen, dass dies noch nie anders war. Das mag vielleicht in Teilen so sein. Aber die Stringenz, mit der ein Bundesgesundheitsminister Lauterbach alles unternimmt, unser bis dato auf Freiberuflichkeit beruhendes, von einem flächendeckenden Netz rechtschaffender Selbständiger und durch eine starke Selbstverwaltung getragenes, gut funktionierendes Gesundheitswesen seinen ideologischen Vorstellungen eines gewerbemäßig betriebenen Gesundheitssektors zu opfern und zunehmend die Staatsmedizin etablieren zu wollen, war noch nie so real, wie heute unter dieser Regierungskoalition.
Seine konsequent betriebene Politik der Demotivation, Drangsalierung und Überforderung der ambulant Tätigen Mediziner, Zahnmediziner und Apotheker und die nicht nachlassende Destruktion der Selbstverwaltung, muss uns allen Angst und größte Sorge machen. Die konkreten Beispiele hierfür werde ich auf unseren Versorgungsbereich bezogen später noch auflisten.
Ich kann mich nicht daran erinnern, dass es jemals ein Gesundheitsminister geschafft hat, die gesamten Heilberufe im ambulanten Bereich und zudem den stationären Sektor so geschlossen gegen sich aufzubringen, wie dieser Gesundheitsminister. Das eigentlich dramatische daran ist, dass die Menschen in diesem Land aufgrund der Kumulation zahlreicher Geschehnisse wie Corona, der eingangs genannten Kriege und die damit verbunden zahlreichen Einschnitte, wie steigende Energiekosten, großer Inflation und Ängste, gar nicht wahrnehmen, welche Fehlentscheidungen hier getroffen werden und wohin ein solch kurzsichtiges und verantwortungsloses Handeln im Gesundheitswesen führt.
Gerade im ambulanten Bereich spüren unsere Patientinnen und Patienten noch nicht im vollen Umfang die Auswirkungen eines solchen Umbaus! Die Gründe dafür liegen auf der Hand:
Unsere ethische Verpflichtung und unser Selbstverständnis führt dazu, dass wir bis heute unter Inkaufnahme fehlender Wertschätzung immer die Versorgung der Bevölkerung in den Vordergrund gerückt haben. Das ärztliche Handeln und unsere Wertvorstellungen haben unseren Alltag bestimmt und wir wollen unserem Anspruch gerecht werden, Menschen zu „heilen“. Genau das aber treibt uns zunehmend in die Ethikfalle, auf der einen Seite bedarfsgerecht und auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft basierend alle Menschen gleichberechtigt versorgen zu wollen, aber auf der anderen Seite die Mittel dafür nicht bereit gestellt zu bekommen.
Es ist zur persönlichen Methode des Ministers geworden, seitens der Politik immer die beste Versorgung mit allen Möglichkeiten der heutigen Medizin einzufordern, sich aber auf der Finanzierungsseite aus der Verantwortung zu stehlen und stattdessen die Menschen in unserem Land über die fatalen Folgen dieser Politik im Unklaren zu lassen. Die ebenso gebetsmühlenartig vorgetragene wie falsche Behauptung, man müsse nur endlich die Wirtschaftlichkeitsreserven auf Seiten der Leistungsträger heben, um das Defizit von Einnahmen- und Ausgabenseite wettmachen zu können, ist schon unter Seehofer von ihm selbst als Schutzbehauptung entlarvt worden, als er feststellte, die Zitrone sei ausgequetscht
Und was ist die Folge?
Die Folgen liegen auf der Hand. Wissend, dass die Faktenlage anders aussieht und trotzdem vom Minister immer wieder vorgetragen, kommt es nachweislich zu stetig wachsenden Leistungskürzungen und damit zur Verschlechterung der Patientenversorgung. Darüber hinaus führt das alles aufgrund fehlender Planungssicherheit, kaum mehr zu bewältigender Bürokratielasten und gesetzlich verordneten Sanktionen zunehmend dazu, dass ältere Kolleginnen und Kollegen den Bettel frustriert hinschmeißen. Junge Zahnärztinnen und Zahnärzte wollen sich nicht mehr niederlassen, was heute schon in bestimmten Regionen zu Sicherstellungsproblemen führt.
Man muss wirklich kein Prophet sein, um zu erkennen, dass dieses Problem bei diesem politischen Kurs weiter zunehmen wird und dann von Lauterbach als „Versagen der Selbstverwaltung“ deklariert werden wird. Wer seitens der Politik glaubt, die mehr als bewährten inhabergeführten Strukturen im zahnärztlichen Bereich durch staatlich geleitete Konstrukte oder gewerblich geführte Großeinheiten ersetzen zu können, die mit demselben Einsatz, demselben Leistungsumfang und derselben Qualität zu den zur Verfügung stehenden Mitteln die Versorgung sicherstellen, der ist entweder naiv oder ideologisch verblendet. Denn die katastrophale Versorgungsrealität in Ländern mit staatlichen Strukturen im Gesundheitswesen, allen voran in England, sprechen eine deutliche Sprache.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ein kluger Mann hat schon vor einiger Zeit zutreffend festgestellt, dass der Grund dafür, dass Deutschland über eines der besten Gesundheitssysteme der Welt verfügt, nicht zuletzt auf einem perfide perfektionierten Ausbeutungssystem der freiberuflichen Ärzte, Zahnärzte und Apotheker basiert. Die Leidenstoleranz ist aber mittlerweile klar und deutlich überschritten! Wir dürfen nicht länger tatenlos zusehen, wie dieses Gesundheitssystem vorsätzlich zerstört wird.
Lassen Sie mich aber nun zunächst den Beweis für die bis jetzt von mir vorgenommene Einschätzung antreten, in dem wir uns die Folgen dieser fehlgeleiteten Politik im Detail anschauen. Von „Fortschritt wagen“ – das war das Motto der Ampel beim Koalitionsvertrag – kann nicht die Rede sein. Vielmehr wird der „Rückschritt als Fortschritt“ getarnt.
Koalitionsvertrag: „Wir bekennen uns zu einer stabilen und verlässlichen Finanzierung der GKV“.
Hohle Worte. Stattdessen sind die Heilberufe durch Honorarkürzungen mit der Finanzierung des GKV Finanzdefizits belastet worden. Nach wie vor werden versicherungsfremde Leistungen der GKV nicht über Steuermittel finanziert.
Koalitionsvertrag: „Gesundheitsförderung. Wir entwickeln das Präventionsgesetz weiter und stärken die Primär u. Sekundärprävention.“
Augenwischerei: die deutlich verbesserte Primär- und Sekundärprävention in der zahnärztlichen Versorgung ist im Bereich der Parodontitis durch den Entzug der finanziellen Mittel für die neue Parodontitisstrecke konterkariert worden. Statt Gesundheitsförderung zu forcieren, nimmt man die Verschlechterung der Gesundheit unserer Bevölkerung als Folge der ausbleibenden Finanzierung in Kauf. Bestes Negativbeispiel für die inhaltsleere Ankündigungspolitik des Gesundheitsministeriums: die Wiedereinführung der strikten Budgetierung im Rahmen des GKV-FinStG (GKV-Finanzstabilisierungsgesetz 2022).
Viele von Ihnen können sich noch an die VV in Dresden im Sommer 2022 erinnern, im Rahmen derer uns der Minister den Gesetzesentwurf ohne jegliche Ankündigung auf den Tisch legte. Wolfgang Eßer hat schon damals in seiner bemerkenswerten Rede die Folgen dieses Gesetzes angeprangert und klargemacht, welche Folgen dieses Gesetz insbesondere für die neue Parodontitisstrecke haben würde. Heute sehen wir uns bestätigt. Wir haben unzählige Gespräche mit dem BMG, den politischen Entscheidungsträgern bis hin zum Bundesgesundheitsminister geführt. Immer hat man größtes Verständnis für unser Ansinnen gezeigt, wenn es um notwendige Korrekturen des GKV-FinStG ging.
Auch wurden wir bestätigt, was die Bedeutung der Bekämpfung der Volkskrankheit Parodontitis betrifft und der Gesundheitsminister hat in einem Dringlichkeitsgespräch mit Wolfgang Eßer und mir im letzten Jahr sogar internationale Studienergebnis zur Bedeutung der Parodontitisprävention „aus dem FF“ zitiert und auf die Wechselwirkungen mit den großen Allgemeinerkrankungen Diabetes und Herz-Kreislauferkrankungen verwiesen. Ein kleiner „Etappensieg“ im damaligen Gesetzgebungsverfahren war die Stellungnahme des Bundesrates mit der klaren Forderung, die Parodontitisversorgung aus der Budgetierung herauszunehmen.
Leider hat die Ampelregierung nicht nur unsere Warnungen und Appelle, sondern auch die Forderung der Länder konsequent ignoriert und im Ergebnis an ihrem Vorhaben festgehalten: Strikte Budgetierung für zwei Jahre mit den Ihnen bekannten Regelungen des § 85 mit den Absätzen 2d und 3a und den darin beschriebenen Ausnahmen für Menschen mit Pflegegrad oder Eingliederungshilfe und Kinder. Das eben genannte „Feigenblatt“, die Ausnahmenregelung für Menschen mit Pflegegrad oder Eingliederungshilfe und Kinder, wurde dann noch durch ein weiteres ergänzt: Die Verpflichtung des BMG, bis zum 30.9.2023 die Auswirkungen des FinStG auf die Parodontitisversorgung zu evaluieren! Uns war allen klar, dass wir weder auf diesen Bericht des BMG warten können, noch damit rechnen dürfen, dass hier tiefe Analysen, Auswertungen und Ergebnisse abgebildet werden, die der Problemlage gerecht werden. Insofern haben wir mit großer Akribie und Regelmäßigkeit das Leistungsgeschehen selbst evaluiert, eine valide Datenbasis geschaffen und gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie unseren eigenen Evaluationsbericht erstellt, dessen Ergebnisse an Eindeutigkeit nicht zu übertreffen sind.
Eindeutig deshalb, weil all das, was wir von Beginn an an Prognosen und Berechnungen erstellt haben, bestätigt wird und die fatalen Folgen für die Patientenversorgung unverkennbar sind, was insbesondere der Einbruch der Parodontitis-Neubehandlungen 2023 belegt, ohne dass ein Ende des Trends absehbar ist. Dabei verkennt die Politik auch die Problematik der Überlagerung von Alt- und Neufällen. Die Auswirkungen für 2024 werden dann noch drastischer mit katastrophalen Folgen für die Mund- und Allgemeingesundheit der Patientinnen und Patienten sein. Ganz zu schweigen von den Folgekosten im zahnärztlichen und ärztlichen Sektor sowie den indirekten Krankheitskosten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
unser Evaluationsbericht belegt damit schwarz auf weiß, dass sich die Politik mit dem GKV-FinStG klar gegen die Gesundheitsförderung und die Patientenversorgung gestellt hat. Damit sind Leistungskürzungen unausweichlich, finden jetzt schon statt und werden weiter zunehmen in 2024. Die Auswirkungen auf all unsere Anstrengungen, eine flächendeckende, wohnortnahe Versorgung zu gewährleisten, habe ich bereits beschrieben. Ein Schelm, der glaubt, dass dies unbeabsichtigt ist. Unsere Zahlen zeigen unwiderlegbar das komplett widersprüchliche und irrationale Vorgehen im Hause Lauterbach mit fatalen Folgen für die Patientenversorgung! Blinder Aktionismus wird vor das Patientenwohl gestellt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
erkennen wir endlich, dass der Minister, dass diese Ampel darauf hinarbeitet, ein Gesundheitswesen weg von inhabergeführten, freiberuflich geführten Praxen zu schaffen! Dabei hat sich die Ampel doch gerade die Prävention groß auf die Fahnen geschrieben: „Dem Leitgedanken von Vorsorge und Prävention folgend stellen wir uns der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe zielgruppenspezifisch und umfassend. Wir unterstützen die Krankenkassen und andere Akteure dabei, sich gemeinsam aktiv für die Gesunderhaltung aller einzusetzen“, heißt es vollmundig im Koalitionsvertrag.
Und anlässlich der Verkündung seiner Pläne für die neue Bundes- und Forschungsbehörde mit dem Namen BIPAM, „Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin“, sagte Lauterbach erst vor wenigen Wochen, „dass das System zu stark auf Behandlung bei schon bestehender Krankheit ausgerichtet sei, wirksame Vorbeugung indessen fehle.“
Diese Ministerworte sind angesichts der strikten Budgetierung und der damit verbundenen katastrophalen Auswirkungen auf die Patientenversorgung nicht nur zynisch und scheinheilig; sie sind blanker Hohn und eine Beleidigung gegenüber unserem Berufsstand! Wir als KZBV haben unter Wolfgang Eßers Leitung die Voraussetzungen dafür geschaffen, Primär- und Sekundärprävention bei der Parodontitis erfolgreich und gesundheitsfördernd zu realisieren, und damit mehr als 30 Millionen Menschen in Deutschland die Chance zu geben, auch ihre Allgemeingesundheit präventiv zu stärken. Lauterbach hatte und hat es in der Hand, die unselige Blockade der dafür notwendigen und auch fest zugesagten Mittel endlich zurückzunehmen.
Komme ich nun zum Evaluationsbericht des BMG zurück, der dem Gesundheitsausschuss am 23.10. zugeleitet worden ist. Selbst bei der von mir eben beschriebenen niedrigen Erwartungshaltung an diese Evaluation, stellt dieser BMG-Bericht, der den Namen „Evaluationsbericht“ nicht verdient, alles in den Schatten, was wir bisher von einem Gesundheitsministerium vorgelegt bekommen haben. Anstatt die glasklare Faktenlage zu berücksichtigen und den auf der Hand liegenden Handlungsbedarf zu erkennen, antwortet der Minister auf die mehr als besorgniserregende Situation, ohne Zahlen oder Evaluationsdaten vorzulegen, lediglich lapidar, „dass in dem zur Verfügung stehenden Zeitraum und mit den vorhandenen Daten eine Verschlechterung der Versorgung von Versicherten mit PAR-Leistungen nicht festgestellt werden kann“!
Das ist eine bodenlose Frechheit, uns allen Ernstes so etwas als eigenen Evaluationsbericht des BMG verkaufen zu wollen! Die komplette Ignoranz gegenüber den Tatsachen zeigt sich dabei bereits darin, dass die Versorgungsperspektive für 2024 und die Folgejahre in diesem Bericht an keiner Stelle berücksichtigt wird. Zudem unterschlägt das BMG, dass es im Jahr 2023 – trotz bereits stark rückläufiger neuer Behandlungsfälle – allein durch die Überlagerung aus den Folgeleistungen der Altfälle aus 2021 und 2022 zu steigenden Punktmengen und Ausgaben kommt.
Die Dreistigkeit, die angeführten gestiegenen Punktmengen im 1. Halbjahr 2023 gegenüber dem 1. Halbjahr 2022 als Argument für eine angebliche verbesserte Parodontitisversorgung heranzuziehen, ist nicht mehr zu überbieten! Neben einem derartig haarsträubenden Interpretations-Spagat darf man dann auch noch lesen, dass eine vermeintliche „Verlangsamung des Anstiegs“ der Neubehandlungsfälle – bei der es sich in der Realität vielmehr um einen deutlichen Rückgang handelt – aufgrund „begrenzter Behandlungskapazitäten“ der Zahnarztpraxen „nicht überraschend“ sei.
Dass sich unsere Kolleginnen und Kollegen in den Praxen parallel zu den langjährigen Verhandlungen im G-BA mit vollem Einsatz gründlich auf die Herausforderungen bei der Bekämpfung der Parodontitis vorbereitet und entsprechende Kapazitäten aufgebaut haben, wird selbstverständlich nicht in Betracht gezogen. Die Folgekosten, die durch die unzureichend behandelte Parodontitis für das GKV-System entstehen, werden im gleichen Zuge geflissentlich gänzlich ausgeblendet. Für einen Professor, der in Harvard studiert hat und sich bei jeder passenden Gelegenheit als sorgfältiger Analyst von evidenzbasierten Daten in Szene setzt, ist dieser sogenannte Evaluationsbericht des BMG eine Schande! Anders kann man das nicht nennen.
Aber das zeigt uns, in welch unverhohlener Art und Weise der Minister Fakten ignoriert, wenn sie ihm nicht in den Kram passen und stattdessen in haarsträubender Art und Weise Tatsachen verdreht oder weglässt. Klar ist aber: Er hat das getan, was zu erwarten war. Das hält uns aber in keiner Weise davon ab, auch jetzt noch Änderungen des GKV-FinStG bewirken zu wollen. Wir haben deshalb unmittelbar nach Sichtung des BMG-Berichtes ein „Positionspapier“ erstellt und allen gesundheitspolitischen Entscheidungsträgern übermittelt, das die ideologisch untermauerte Zielrichtung, seitens des Bundesgesundheitsministers nichts für die Parodontitisversorgung tun zu wollen, mehr als deutlich enttarnt!
Wie die Vorschläge für eine dauerhafte Stabilisierung der GKV-Finanzen dann aussehen sollen, weiß heute immer noch kein Mensch. Von unserer Seite aus kann es darauf nur eine Antwort geben: Dieser versorgungsschädigenden Politik den Kampf anzusagen! Die Verschlechterung der Versorgung droht nicht mehr, sie ist spürbar und real und wird weiter zunehmen, wenn nicht endlich gehandelt wird. Daher haben wir auch gemeinsam mit den Ärzten und Apothekern Mitte Oktober in der Bundes-pressekonferenz die Politik im Allgemeinen und Bundeskanzler Olaf Scholz im Besonderen zum schnellen Handeln aufgerufen. Ob von Seiten des Bundeskanzlers Unterstützung für uns kommt, bleibt abzuwarten.
Wir alle zusammen – und damit meine ich die KZVen und die KZBV sowie auch im Schulterschluss mit der Bundeszahnärztekammer, den (Landes-)Zahnärztekammern und den Verbänden– haben bewiesen, dass wir in der medialen Operative effektiv und konzertiert zusammenarbeiten können, und haben so unsere Kampagne etabliert. Auch die zahlreichen vom Verband der medizinischen Fachberufe organisierten Protestaktionen in den Ländern haben gezeigt, dass wir alle in einem Boot sitzen.
Wir haben es geschafft, unseren Botschaften Nachdruck zu verleihen, wenn auch bezüglich des Engagements auf einigen Ebenen noch Luft nach oben besteht. Es gilt auf jeden Fall jetzt und in den nächsten Wochen und Monaten, noch einen draufzusetzen. Resignation und Politikverdrossenheit zu diesem Zeitpunkt sind die falschen Reflexe: Wir müssen die Probleme in der zahnärztlichen Versorgung mit all ihren Konsequenzen für die Patientenversorgung so lange klar benennen, bis die Politik endlich handelt. Die politisch verantwortlichen Akteure, insbesondere jene der Ampel-Koalition, müssen begreifen, dass wir an diesem Punkt nicht lockerlassen werden! Die Stimmung in den Praxen ist zu Recht an einem historischen Tiefpunkt angelangt. Dies resultiert nicht nur aus den Folgen der strikten Budgetierung, sondern auch aus überbordender Bürokratie, versorgungsfernen Digitalisierungsvorhaben, Fachkräftemangel und mangelnder Wertschätzung durch die Politik.
Losgelöst von der Frage, ob wir es in den nächsten Wochen noch schaffen, das Ruder herumzureißen in Sachen Parodontitisversorgung, muss unser Gesamtziel lauten, die mit dem GKV-FinStG wiedereingeführte strikte Budgetierung für alle Zeiten zu beenden. Denn wir sind keine Kostentreiber! Wir sind Kostensenker, weil wir eigenmotiviert und ohne staatlichen Aufforderung nicht nur über Prävention reden, sondern sie jeden Tag erfolgreich umsetzen. Insofern wäre es zum jetzigen Zeitpunkt der absolut falsche Weg, unsere Kampagne einschlafen zu lassen. Daher appelliere ich an Sie alle, eine perspektivische Verlängerung der Kampagne uneingeschränkt mitzutragen. Die weitere Kampagnen-Ausrichtung hängt dabei stark von künftigen politischen Entscheidungen ab.
Insofern müssen wir auf sämtliche Szenarien vorbereitet sein. Klar ist aber – und das gilt bereits ab sofort –, dass wir in unseren Botschaften noch klarer werden und zusätzlich Maßnahmen auf weiteren Ebenen ergreifen müssen. Die Botschaften lauten:
- Starke Leistungseinschränkungen im Bereich der Parodontitisversorgung in 2024,
- Gefahr der Verstaatlichung des Gesundheitswesens mit all seinen Folgen,
- die fatalen Folgen auf die Sicherstellung einer flächendeckenden Versorgung.
Sollte diese Regierung, allen voran Herr Lauterbach, nicht Willens sein, bei der Budgetierung nachzusteuern, dann werden wir in den nächsten zwei Jahren alles daransetzen müssen, in der Öffentlichkeit die fatalen Auswirkungen dieser Gesundheitspolitik weiter für alle Augen sichtbar zu machen – mit einer breit angelegten und langfristigen Kampagne!
Sämtliche Gesetze, die von der Ampel-Koalition in dieser Legislaturperiode bereits verabschiedet worden sind oder sich derzeit noch als Entwürfe in der Pipeline befinden, lassen ein Ziel deutlich erkennen: Zentralisierung und zunehmende Verstaatlichung des Gesundheitswesens. Gezielt wird die Selbstverwaltung als tragende Säule im Gesundheitswesen destabilisiert und geschwächt. Diffamierungen ihrer Exponenten als Lobbyisten und eine unsägliche Ignoranz gegenüber den wirklichen Leistungsträgern des Systems, nämlich den freiberuflich tätigen und auf Selbstständigkeit fußenden ärztlichen und zahnärztlichen Praxen mit ihren Teams sind zum Standard geworden. Das ist absolut inakzeptabel! Es muss wieder ein politisches Klima erzeugt werden, das von Wertschätzung gegenüber Selbstverwaltung, Freiberuflichkeit und dem zahnärztlichen Berufsstand geprägt ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
auch überbordende Bürokratie ist und bleibt ein entscheidender Faktor, der junge Zahnärztinnen und Zahnärzte von einer Niederlassung zurückschrecken lässt. Das bestätigen die Untersuchungen des Instituts der Deutschen Zahnärzte immer wieder. Und auch diese Missstände prangern wir gefühlt seit einer halben Ewigkeit an. Auch bei diesem Thema lohnt sich der Blick in den Koalitionsvertrag, in dem ein „Bürokratieabbaupaket“ für das Gesundheitswesen vorgesehen ist. Auch hier ein kurzer Faktencheck: Per Gesetz hat der Bundestag das BMG beauftragt, bis 30.9.2023 eigene Empfehlungen zum Bürokratieabbau im Gesundheitswesen vorzulegen. Wir haben geliefert!
Daher nochmals mein klarer Appell an die Politik: Der Bürokratieabbau im Gesundheitswesen muss zeitnah umgesetzt werden. Dabei muss die vertragszahnärztliche Versorgung mit zielgenauen Maßnahmen sowohl bei der Praxisgründung als auch im Versorgungsalltag entlastet werden. Sie können sich gewiss sein, dass wir uns mit unserem Maßnahmenkatalog in die politische Diskussion weiterhin einbringen. Selbstverwaltung bedeutet Selbstorganisation, aber vor allem Mitgestalten und Mitbestimmen. Nur wir wissen, wie Zahnmedizin in der Praxis funktioniert. Somit dürfen Entscheidungen, die unsere Praxistätigkeit unmittelbar betreffen, nicht über unsere Köpfe hinweg am grünen Tisch, sondern von und mit uns getroffen werden.
Dies führt mich direkt zum nächsten Thema: „Digitalisierung gestalten.“ Auch hier ein kurzer Faktencheck: Wir haben mit dem EBZ-Verfahren gezeigt, wie Digitalisierung funktionieren kann, indem es einen Mehrwert für alle Beteiligten bietet. Das EBZ ist aus dem Versorgungsalltag geboren und folgt einemstrukturierten Aufbau nach dem Motto: „Erst denken und dann machen. Und zwar gut erprobt, pilotiert und dann etabliert.“
Damit war es von Beginn an auf Akzeptanz fußend und im Unterschied zu den politischen Maßnahmen aus dem BMG nicht mit Zwang eingeführt. Digitalisierung muss zeitlich, wirtschaftlich und organisatorisch umsetzbar sein und zugleich einen Mehrwert für die Versorgung entfalten. Nichts von dem ist zu erkennen, wenn wir auf die beiden „Digitalgesetze“ schauen:
- Sanktionierung statt Motivation,
- Bürokratieaufbau statt Bürokratieabbau,
- Verstaatlichung des Gesundheitswesens und
- kein erkennbarer Mehrwert für die Versorgung, zumindest in unserem Bereich.
Dies beweist der Regierungsentwurf zum GDNG (Gesundheitsdatennutzungsgesetz) insbesondere mit der Verpflichtung des GKV-SV zur Lieferung von Auswertungen von statistischen Daten an das BMG. Damit verfolgt das Ministerium nur ein Ziel: Die Entwicklung des Leistungsgeschehens, der GKV-Ausgaben und regionale Versorgungsmuster analysieren bzw. prognostizieren. Die Folgen sind:
- Schaffung von Doppelstrukturen,
- höherer Verwaltungsaufwand und
- ein weiterer Eingriff in die Selbstverwaltungskompetenzen hin zur Staatsmedizin.
Diese Regelung verdient also genau so eine klare Absage wie das geplante Vorhaben, die KZVen zur Vorabübermittlung unbereinigter Abrechnungsdaten an die Krankenkassen zwecks Weiterleitung an das Forschungsdatenzentrum zu verpflichten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
dies alles sind klare Zeichen dafür, dass das Interesse des BMG an einer konstruktiven Zusammenarbeit mit der Selbstverwaltung zunehmend schwindet. Systematisches Misstrauen gegenüber den Akteuren der Selbstverwaltung, Ausgrenzung bei Entscheidungsprozessen, Ausweitung von Aufsichtsrechten und Entscheidungsbefugnissen des Bundes, Diffamierungen der Selbstverwaltung und ihrer Vertreter als „Lobbyisten“: Das alles ist heute gelebte Praxis und schwächt die Selbstverwaltung auf allen Ebenen.
Wenn dann das im GDNG geplante Vorhaben, dass Krankenkassen künftig ohne Einwilligung ihrer Versicherten deren Daten zu bestimmten Zwecken wie zum Beispiel der Erkennung seltener Erkrankungen automatisiert auswerten dürfen und auf Grundlage dieser Auswertung Empfehlungen zur Inanspruchnahme einer z.B. zahnärztlichen Beratung aussprechen dürfen, muss man wirklich die Frage stellen, wessen Geistes Kind hier die Feder geführt hat. Mehr Realitätsverlust und Praxisferne kann man m.E. gar nicht mehr unter Beweis stellen. Hier soll scheinbar ganz bewusst das so wichtige Arzt-Patienten-Verhältnis in Frage gestellt werden. Getoppt wird das Ganze dann noch durch die vorgesehene Erweiterung des § 95d hinsichtlich der Fortbildungsinhalte.
Komme ich nun zum Thema „Sicherstellung der Versorgung“. Ohne Zweifel muss es unsere Aufgabe im Rahmen des Sicherstellungsauftrages sein, die Versorgungslandschaft aktiv und im Sinne der Patientinnen und Patienten zu gestalten. Die Herausforderungen werden aus den Ihnen bekannten Gründen größer und die Politik muss begreifen, dass die vorhandenen Sicherstellungsinstrumente vom Berufsstand zwar erfolgreich genutzt werden. Die Politik kann und darf aber das Gesamtproblem nicht nur auf uns abwälzen!
Es handelt sich hierbei um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, eine Infrastruktur aufzubauen, die diese Regionen wieder für die Menschen attraktiv macht. Die Politik darf sich gewiss sein, dass wir sie auch hier in die Pflicht nehmen werden! Dies gilt insbesondere auch für das Thema Medizinischer Versorgungszentren, die von versorgungsfremden Investoren betrieben werden. Ich glaube, dass wir über die Gefahren und Folgen hier nicht mehr im Detail reden müssen. Belegt durch zwei Gutachten, zahlreichen Ausarbeitungen und Auswertungen ist auch mittlerweile der Politik klargeworden, handeln zu müssen. Unsere Vorschläge liegen auf dem Tisch.
Der Bundesrat hat mit seinem Votum ein starkes Signal an den Gesetzgeber gesendet, die Versorgung endlich wirksam vor den Gefahren durch iMVZ zu schützen. Wir fordern, endlich gesetzlich verankerte, wirksame Maßnahmen zur Eingrenzung der Gründungsmöglichkeiten von MVZ durch versorgungsfremde Investoren im zahnärztlichen Versorgungsbereich. Zwingend erforderlich ist neben der räumlichen Begrenzung auch eine fachliche Gründungsbeschränkung! Der mit dem TSVG beschrittene Sonderweg für die vertragszahnärztliche Versorgung muss konsequent fortgesetzt werden.
Wir dürfen gespannt sein, wann der Minister seinen vollmundigen Ankündigungen hier Taten folgen lässt und endlich – und zwar noch in diesem Jahr – handelt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
und gäbe es nicht schon genug Probleme mit der Gesetzgebung in Deutschland, gibt die Politik auf europäischer Ebene quasi gerade Vollgas in einer 30iger Zone: Am 14. Juli 2023 hat die Europäische Kommission einen Vorschlag für eine Änderung der EU-Quecksilberverordnung vorgelegt. Die EU-Kommission schlägt „aus Gründen des Umweltschutzes“ ein Verbot der Verwendung von Dentalamalgam in der Europäischen Union ab dem 1. Januar 2025 vor.
Die KZBV setzt derzeit sich gemeinsam mit der BZÄK und der DGZMK für notwendige Korrekturen im anstehenden parlamentarischen Verfahren ein. Ein Verbot von Amalgam ist unter den bestehenden Rahmenbedingungen nicht akzeptabel. Auch hierzu liegt ja ein entsprechender Antrag für die VV vor.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,
der Aktionismus von Minister Lauterbach in Bezug auf die Etablierung von Gesundheitskiosken oder das überdurchschnittliche Engagement für den stationären Bereich hilft nicht, die ambulante Versorgung künftig sicherzustellen. Es kann auch nicht angehen, dass das BMG aktuell medienwirksam veinen Aktionsplan vermarktet, mit dem Barriereprobleme im Gesundheitswesen angegangen werden sollen, wenn der Minister gleichzeitig Vorschläge zur dauerhaften Stabilisierung des GKV-Systems schuldig bleibt.
Wir haben unsere Forderung dazu bereits 2016 anlässlich des „Nationalen Aktionsplans 2.0“ eingebracht und wiederholen diese gerne. Wenn man seitens der Politik Barriereprobleme lösen will, muss man auch hier bereits sein, konkrete finanzielle Unterstützung insbesondere beim barrierearmen Aus- und Umbau sogenannter Bestandspraxen leisten zu wollen. In der Haushaltsdebatte sprach der Bundesgesundheitsminister noch davon, dass es jetzt darum gehe, das deutsche Gesundheitssystem wieder gesunden zu lassen, denn dieses sei „leider chronisch krank“.
Ich sage hier und heute: Herrn Lauterbach ist es in zwei Jahren gelungen, die Gesundheitsversorgung zur Intensivpatientin im eigenen System werden zu lassen – aktuell mit nur bedingter Aussicht auf Heilung. Zu der immer wieder von ihm zitierten Bedeutung von Evidenz und der Wichtigkeit von Daten und Fakten im Gesundheitswesen ist festzuhalten:
Die Evidenzlage ist eindeutig:
- Die Wirksamkeit aller verabschiedeten Gesetze und laufenden Gesetzgebungsverfahren hinsichtlich der Verschlechterung der Patientenversorgung ist nachgewiesen.
- Fakt ist auch, dass die zahlreichen Gespräche mit dem BMG und dem Minister in aller Deutlichkeit zur ernüchternden Erkenntnis geführt haben, dass anders als in der Vergangenheit Fakten keine Rolle spielen und scheinbar keinerlei Bereitschaft besteht, Kurskorrekturen vorzunehmen.
- Und insofern kein Weg für uns daran vorbeigehen kann, eine andere Tonalität gegenüber der jetzigen Regierung, allen voran gegenüber dem Bundesgesundheitsminister bis hin zum Bundeskanzler finden zu müssen.
Die Heilberufe im ambulanten Sektor stehen zusammen und werden geschlossen nicht mehr davon ablassen, die Öffentlichkeit über die Folgen dieser vollkommen verfehlten Gesundheitspolitik in aller Deutlichkeit aufzuklären. Mit seiner Politik gefährdet Minister Lauterbach das bewährte Gesundheitssystem und setzt die mittelständisch geprägte, freiberufliche Struktur aufs Spiel, die für rund eine Million wohnortnahe Arbeitsplätze steht und gerade in Krisenzeiten ein Stabilitätsfaktor sind! Wir sind nicht die Handlanger von politischen Entscheidungsträgern, die unser Gesundheitswesen in ein staatlich gelenktes System umbauen wollen!
Insofern wird es unsere Aufgabe heute sein, im Rahmen dieser sehr politischen VV zu entscheiden, welchen Weg wir in den kommenden zwei Jahren gehen wollen. Ich bin mir aber sicher, dass wir in aller Einmütigkeit und Geschlossenheit in dieser VV richtungsweisende Entscheidungen und Beschlüsse fassen werden, die es dann gilt, mit alle Ernsthaftigkeit, Vehemenz und Kraft des Berufsstandes umzusetzen.
Das sind wir unseren Kolleginnen und Kollegen in den Praxen, aber vor allem unseren Patientinnen und Patienten als Standespolitikerinnen und Standespolitiker schuldig!
Bild: © KZBV/Knoff