Rede Martin Hendges
Es gilt das gesprochene Wort.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
meine sehr verehrten Gäste,
ich darf Sie ganz herzlich im Namen des Vorstandes hier in Frankfurt zu unserer vierten Vertreterversammlung in dieser Amtsperiode willkommen heißen.
Auch wenn wir uns heute und morgen in einer so genannten Arbeits-VV befinden, ist es zwingend erforderlich, einen Blick auf die aktuelle politische Großwetterlage zu werfen und die Arbeitsergebnisse der Ampel-Koalition zu bewerten und einzuordnen. Nun habe ich gelernt, dass „Low-Performance" heute kein Kündigungsgrund mehr ist, wenn es um die Arbeitsleistung von Personal geht. Für die Leistung der Ampel gilt jedoch eher der Begriff „No-Performance", wenn man sich insbesondere den eingeschlagenen Weg in der Gesundheitspolitik anschaut.
In einer Zeit, die von vielen Krisen geprägt ist und in der sich zunehmend große Unzufriedenheit in der Bevölkerung breitmacht, spülen Ängste, Frustration und Wut rechts-, aber auch linksextreme, menschen- und demokratiefeindliche Kräfte in unserem politischen System nach oben. Mit Blick auf die Europawahlen am Wochenende ist es aktuell dringender denn je, unsere freiheitlichen Werte und unsere Demokratie zu verteidigen. In diesem Kontext verliert das Thema „Gesundheitsversorgung" in der öffentlichen Wahrnehmung an Aufmerksamkeit.
Aber genau das ist so fatal, weil allen voran der Bundesgesundheitsminister akribisch die Weichen in Richtung staatlich gelenktes Gesundheitswesen gestellt hat und sich dieser Kurs in jedem seiner Gesetze und Vorhaben wiederfindet. Viele von Ihnen kennen vielleicht den Sänger Klaus Lage noch und damit ein bekanntes Lied von ihm: „Tausendmal berührt und tausendmal ist nix passiert". Bezogen auf unsere zahlreichen Bemühungen müsste es lauten: „Tausendmal vorgetragen und tausendmal ist nix passiert".
Die Frage, warum nichts passiert, lässt sich schnell und einfach beantworten: Die Ampel ist heillos zerstritten und damit grundsätzlich nicht mehr fähig, gestalterisch tätig zu werden, geschweige denn effektive Reformen einzuleiten.
Hinzukommt ein gigantisches Loch im Bundeshaushalt, das jedwede Steuerfinanzierung von Maßnahmen nahezu unmöglich macht. In dieser Situation finden Zahlen, Daten und Fakten bei den derzeitig politisch Verantwortlichen dann kein Gehör, sobald die Realität sich nicht in die rudimentäre Agenda pressen lässt, auf die sich SPD, Grüne und FDP aktuell noch mit Mühe und Not einigen können.
Auch werden die Fakten beiseite gewischt, wenn sie dem politischen Handeln und den politischen Zielen zuwiderlaufen. Bestes Beispiel hierfür ist die Antwort von Herrn Lauterbach auf unseren offenen Brief, in der er die Parodontitisversorgung trotz des rapiden Absturzes der Neubehandlungsfälle in 2023 auf einem guten Weg sieht.
Das Problem sitzt aber noch viel tiefer! Wir müssen uns in dieser Legislatur mit einem Gesundheitsminister auseinandersetzen, der die Player der Selbstverwaltungen nicht nur als Lobbyisten bezeichnet, sondern das System der Selbstverwaltung als Hemmschuh sieht und es letztendlich weitestgehend handlungsunfähig machen möchte. Wer den Auftritt des Bundesgesundheitsministers bei der Digitalkonferenz Republica letzte Woche in Berlin verfolgt hat, durfte Folgendes zur Kenntnis nehmen (ich zitiere aus dem Bericht des Ärztenachrichtendienstes / online vom 29. Mai 2024): „Bisher ist es so gewesen, dass die Lobbygruppen die Strategie verfolgt haben, die Gesetze so zu beeinflussen, dass sie nicht mehr wirken. Das ist die klassische Strategie. Das ist ein Kampf der Lobbyisten gegen ein System. Ein Gesetz ist eine Bombe, die aber in letzter Sekunde noch entschärft wird".
Weiter heißt es in der Berichterstattung: „Daher habe es in den vergangenen Jahren sehr viele Gesetze gegeben, die nie die Wirkung entfaltet hätten, die notwendig gewesen wäre. Man habe den Lobbyisten in der Vergangenheit zu viel Raum gelassen". Es wäre schön, wenn Herr Lauterbach sich diese Worte zu Herzen nehmen würde, wenn es um das Thema Investoren-MVZ geht, bei dem die wirklichen Lobbyverbände seit Jahren massiv Druck machen, um dringend notwendige Reformen im Sinne einer guten Patientenversorgung zu verhindern bzw. um Reformen auf Feigenblattniveau zu stutzen.
Was die Selbstverwaltung und ihre zentrale Bedeutung für unser Gesundheitssystem angeht, müsste man hingegen dem Minister noch etwas Nachhilfe geben, wenn er wirklich der Ansicht ist, uns mit diesen Lobbyverbänden in einen Topf werfen zu können. Wenn das wirklich die Überzeugung von Herrn Lauterbach ist, dann wird er nicht nur seiner Aufgabe eines Bundesgesundheitsministers nicht gerecht, sondern gefährdet mit dieser undifferenzierten Meinungsmache nachhaltig die Gesundheitsversorgung in Deutschland.
Die immer wieder deutlich nach außen getragene Diffamierung der Selbstverwaltung, aber auch die Ignoranz denjenigen gegenüber, die jeden Tag in ihrer selbstständig und freiberuflich geführten Praxis eine qualitativ hochwertige Versorgung sicherstellen, hat ein Niveau erreicht, das nahezu unerträglich ist. Wir als Selbstverwaltung beeinflussen keine Gesetze, damit sie nicht mehr wirken! Nein, wir legen Konzepte und Vorschläge auf den Tisch, um die Versorgung zu verbessern – und das schon seit vielen Jahren mit großem Erfolg. Wir reden nicht nur über Prävention, sondern wir wenden sie jeden Tag in unseren Praxen an. Wir wissen, wie der Versorgungsalltag aussieht und welche Herausforderungen zu meistern sind.
Wer aber glaubt, am „Grünen Tisch" im Elfenbeinturm, umgeben mit selbstinszenierten „Expertenkreisen" ideologisch geprägte Versorgungsmodelle entwickeln und damit effektive Gesundheitsversorgung sicherstellen zu können, der verkennt, dass es ohne uns nicht geht, dass es gerade die etablierten freiberuflich und selbstständig geführten Praxisformen sind, die eine flächendeckende und wohnortnahe Versorgung sicherstellen. Ohne Zweifel steht die GKV vor großen Herausforderungen: Der demografische Wandel, der in den nächsten Jahren durch den Babyboomer-Effekt noch deutlich befeuert wird, hat eine immer älter werdende Bevölkerung zur Folge.
Damit verbunden sind sinkende Beitragseinnahmen bei gleichzeitig steigenden Ausgaben, vor allem durch die insgesamt höhere Krankheitslast und eine Gesellschaft, in der die Zahl der Pflegebedürftigen rasant steigt. Das wird den Druck im Kessel weiter erhöhen. Von den Sozialbeiträgen, die zur zukünftigen Finanzierung der Rente erforderlich sein werden, will ich hier gar nicht sprechen. Aber diesen gewaltigen Tsunami, der da gesellschaftlich auf uns zurollt, müssen wir bei unseren Überlegungen berücksichtigen. Das Damoklesschwert möglicher Beitragserhöhungen schwebt über der Politik und es liegt nahe, dass sie weiterhin reflexartig auf Instrumente einer wenig zielgerichteten und kurzsichtigen Sparpolitik zurückgreift, wie die Wiedereinführung der strikten Budgetierung im Rahmen des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes bewiesen hat.
Mit einer solchen Maßnahme unter dem Vorwand „Jeder muss seinen Beitrag leisten" ignoriert die Politik nicht nur die Erfolge, die die Zahnärzteschaft mit ihrer präventionsorientierten Ausrichtung auch für die Stabilität der GKV-Finanzen seit Jahrzehnten leistet, sondern begrenzt irrwitzig gerade die Mittel bei der Parodontitisversorgung und nimmt damit wissentlich hohe Folgekosten im zahn-medizinischen, aber vor allem auch im allgemeinmedizinischen Sektor in Kauf.
Alleine das zeigt die Kurzsichtigkeit dieser Gesundheitspolitik.
Es ist einfach unanständig, Leistungsansprüche einerseits auszuweiten, die ohne jeden wissenschaftlichen Zweifel zwingend notwendig sind, und andererseits dann die dafür erforderlichen Mittel zu kürzen. Wer Prävention predigt, muss sie auch ermöglichen und bezahlen. Wer sich auf die Fahne schreibt, keine Leistungen kürzen zu wollen, der muss sich auch an den realen Auswirkungen seiner Gesetze messen lassen und darf der Öffentlichkeit nicht vorgaukeln, dass dieser Sparkurs in der Versorgungsrealität folgenlos bleibt.
Das immer wieder zitierte Heben von angeblichen „Wirtschaftlichkeitsreserven" wird zur Farce in einem System, in dem es zunehmend an Ärztinnen und Ärzten mangelt, das Apothekensterben mehr als deutlich zu Tage tritt und Fachkräfte an jeder Ecke fehlen. Und auch wir in den Praxen spüren die Folgen dieser Gesundheitspolitik Tag für Tag. Ein Übermaß an Bürokratielast, praxisferne Digitali-sierungsstrategien, keine Planungssicherheit und fehlende Wertschätzung seitens der Politik nehmen mehr und mehr die Freude am Beruf.
Es bedarf also dringend eines Kurswechsels in der Gesundheitspolitik, will man den Dampfer wieder in das richtige Fahrwasser bringen. Eines ist klar: Wir sind und bleiben Freiberufler. Wir sind und werden auch keine Angestellten des Staates. Wir machen keinen Dienst nach Vorschrift. Das zeigt sich doch allein daran, dass wir im Schnitt weit über 40 Stunden die Woche arbeiten, um für unsere Patientinnen und Patienten da zu sein und die Versorgung in der Fläche aufrechtzuerhalten.
Wer glaubt, mit staatlichen Strukturen genauso leistungsfähig sein zu können wie das etablierte System der niedergelassenen Ärzte- und Zahnärzteschaft, der leidet an Realitätsverlust.
- Wer die GKV mit Ausgaben belastet, die der Staat tragen müsste (rd.10 Mrd. € für Bürgergeldempfänger, 2,5 Mrd. € Transformation Krankenhäuser pro Jahr),
- wer Doppelstrukturen wie Gesundheitskioske schaffen möchte, obwohl jetzt schon Ärzte und Fachpersonal in Praxen und Krankenhäusern fehlen,
- wer es weiterhin zulässt, dass versorgungsfremde Investoren in den Markt drängen, die rein renditeorientiert agieren,
- wer mit einer Datensammelwut unter Vernachlässigung von Persönlichkeitsrechten glaubt, die wirklichen Herausforderungen im Gesundheitswesen lösen zu können,
- wer die Schlagkraft und Effizienz der Selbstverwaltung negiert, der nimmt den daraus resultierenden Schaden für die Patientenversorgung billigend in Kauf.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
der Blick auf die aktuelle politische Großwetterlage und die Bewertung der Arbeitsergebnisse der Ampel-Koalition sind absolut ernüchternd! Stellt sich nun die Frage: Was können wir tun? Diese Frage will ich gerne für den Vorstand beantworten. Es ist nicht die Zeit für Resignation, für das Wecken falscher Erwartungshaltungen oder gar für Politikverdrossenheit.
Daher werden wir auch nicht davon ablassen, weiterhin in dieser hohen Frequenz wie bisher die Politik mit den Fakten zu konfrontieren, unsere Forderungen zu artikulieren, uns in die Gesetzgebung aktiv einzubringen und zu versuchen, mit unseren Vorschlägen zu überzeugen. Losgelöst davon müssen wir mit aller Vehemenz der Öffentlichkeit vor Augen führen, welche fatalen Folgen diese Gesundheitspolitik für sie selbst hat. Denn vieles davon ist heute noch nicht spürbar, wenn man nicht gerade in einer ländlichen und ggf. zudem strukturschwachen Region lebt, in der die Praxisstruktur wegbricht oder wenn man nicht gerade mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hat.
Nicht zuletzt deswegen haben wir unsere Kampagne „Zähne zeigen" im letzten Jahr gestartet und werden diese in der nun modifizierten Form fortführen. Mit unserem scharfen Protest gegen diese Gesundheitspolitik von Minister Lauterbach und der Ampel stehen wir nicht alleine da, sondern Seite an Seite mit der KBV, der ABDA und sogar der Deutschen Krankenhausgesellschaft. Wir haben eindrucksvoll im Rahmen von zwei Bundespressekonferenzen aufzeigen können, dass hier die Säulen des Gesundheitswesens eng zusammenstehen, allesamt in der Analyse der derzeitigen Politik zum gleichen Ergebnis kommen und man deshalb auch gemeinsam Öffentlichkeit herstellen muss.
Diesen Weg werden wir auch in den nächsten Monaten weitergehen und deshalb freue ich mich sehr, dass sowohl Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der KBV, als auch Herr Mathias Arnold, Vizepräsident der ABDA, morgen bei uns zu Gast sein werden. Aber auch Vertreter der Krankenkassen üben heftige Kritik an der Gesundheitspolitik: So forderte der Vorstandsvorsitzende der DAK, Andreas Storm, letzte Woche eine Zeitenwende, um das Gesundheitswesen zukunftsfest zu machen. Diese Transformation könne nur mit zusätzlichem Geld gelingen, sagte er gegenüber der Deutschen Presse-Agentur.
Deutlicher können die Weckrufe nicht sein. Man muss schon Augen und Ohren verschließen, um diese Weckrufe von allen Seiten nach einem Kurswechsel in der Gesundheitspolitik zu übersehen bzw. zu überhören. Umso zentraler ist es, dass wir von dieser Vertreterversammlung aus ein deutliches und unüberhörbares Signal Richtung Berlin schicken!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr verehrte Gäste,
in diesen schwierigen Zeiten ist es also umso wichtiger, geschlossen aufzutreten, Herausforderungen gemeinsam zu meistern und als Vordenker mit praxistauglichen Konzepten dieser Gesundheitspolitik entschieden entgegenzutreten – fokussiert und faktenbasiert!
In diesem Sinne wünsche ich uns allen eine konstruktive und erfolgreiche Vertreterversammlung und für die verbleibende Legislaturperiode die notwendige Zuversicht, dass ein Kurswechsel in der Gesundheitspolitik noch gelingen kann.
Bild: © KZBV/Darchinger