Rede Dr. Ute Maier
Es gilt das gesprochene Wort.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren,
verehrte Gäste,
auch von meiner Seite aus ein herzliches Willkommen zu unserer Vertreterversammlung hier in Bonn.
Vertragsinformatik
Wie Sie gerade schon von Herrn Kollegen Hendges gehört haben, will der Gesetzgeber aktuell mit einigen, mehr oder weniger sinnhaften Gesetzen das Gesundheitswesen digitalisieren. Dabei muss man zugestehen, dass Deutschland, was die Digitalisierung anbetrifft, im Ranking ziemlich weit am Ende der Liste der europäischen Länder steht. Das neueste und erst kürzlich im Bundestag beratene Gesundheits-Digitalagentur-Gesetz (GDAG) beinhaltet jedoch wieder einmal viele Paragraphen, die Auswirkungen auf die Zahnarztpraxen haben und eher zu Mehraufwänden führen werden als zu weniger Bürokratie.
Durch die im Regierungsentwurf GDAG angedachte Ausweitung der Aufgaben des Kompetenzzentrums für Interoperabilität im Gesundheitswesen (KIG) kann dieses noch mehr Einfluss auf die Ausgestaltung der Praxisverwaltungssysteme (PVS) nehmen als bisher zugewiesen.
So soll sich das Zertifizierungsverfahren für die PVS nicht nur auf die Interoperabilitäts (IOP)-Anforderungen beschränken, sondern es sollen auch Vorgaben und Anforderungen für qualitative und quantitative PVS-Funktionen geprüft werden können, wenn solche Vorgaben und Anforderungen verbindlich vorgegeben werden.
Dabei werden die Begriffe „qualitative und quantitative PVS-Funktionen“ im Gesetzestext selbst nicht klar definiert. In der Begründung findet man zwar Beispiele wie:
- Ladezeit zur Befüllung der ePA durch das PVS,
- reibungslose Bedienung der ePA oder
- Fähigkeit des PVS, die wesentlichen Dokumentationspflichten der ärztlichen Leistungserbringer nach einem definierten Standard abzubilden und so die Systeme in der praktischen Anwendung innerhalb der schnellen Arbeitsabläufe der Leistungserbringer nutzbar zu machen.
Aufgrund der fehlenden Legaldefinition wäre aber auch denkbar, dass ggf. auch die Abrechnungsfunktionalität der PVS von der gesetzlichen Regelung betroffen sein könnte. Das Konformitätsbewertungsverfahren würde sich dann nicht nur auf die Prüfung der IOP-Anforderungen, sondern auch auf die Festlegung von Vorgaben für die Abrechnungskonformität und -funktionalität der PVS und insbesondere auf die Prüfung der korrekten Implementierung der KZBV-Abrechnungsmodule erstrecken.
Dies wäre ein weiterer, völlig inakzeptabler Eingriff in die originären Aufgaben der Selbstverwaltung.
Die KZBV lehnt deshalb die Ausweitung des Aufgabenkatalogs des KIG auf „qualitative und quantitative Funktionalitäten informationstechnischer Systeme“ und die damit verbundene Beschneidung der Selbstverwaltungskompetenzen der KZBV entschieden ab. Bereits jetzt müssen gemäß Digital-Gesetz (DigiG) die Praxisverwaltungssysteme ab 2025 in einer festgelegten Frist diverse vorgegebene Konformitätsbewertungsverfahren beim KIG durchlaufen; ein Versäumnis oder das Nichtbestehen führen zum Nutzungsverbot für die Abrechnung. Für die betroffenen Zahnarztpraxen würde dies die Notwendigkeit zum Wechsel zu einem anderen PVS bedeuten. Die KZBV hat sich deshalb schon frühzeitig vehement gegen das Abrechnungsverbot ausgesprochen.
Inzwischen sieht der Regierungsentwurf zum GDAG zwar eine Karenzzeit von 8 Monaten für einen Wechsel vor, allerdings nur für ganz bestimmte, eher seltene Fälle, nämlich wenn eine bereits erfolgte Zertifizierung widerrufen bzw. zurückgenommen wird. Diese dann geltende Karenzzeit von 8 Monaten, innerhalb derer das nicht mehr zertifizierte PVS zur Abrechnung weiterverwendet werden kann, beginnt mit der Veröffentlichung der Rücknahme/des Widerrufs auf der nationalen Wissensplattform für Interoperabilität der gematik (INA = Interoperabilitäts-Navigator für digitale Medizin).
Die KZBV hält diese Regelungen allerdings nicht annähernd für ausreichend, da die Leistungserbringer selbst überhaupt keinen Einfluss auf die Umsetzung der gesetzlichen Regelungen durch die PVS-Hersteller haben und die Regelung, die nur für die eher seltenen Fälle von Rücknahme und Widerruf einer bereits erfolgten Zertifizierung gilt, insbesondere auch nicht die Problematik bei einem Fristversäumnis bei der Erstzertifizierung berücksichtigt, die weitaus häufiger zu erwarten ist als Rücknahmen oder Widerrufe bereits erfolgter Zertifizierungen.
Das völlig unverhältnismäßige Abrechnungsverbot und die damit einhergehende Sanktionierung der Leistungserbringer sind deshalb ersatzlos zu streichen.
Die elektronische Patientenakte (ePA für alle) wird – als Schicksalsprojekt für Bundesgesundheitsminister Lauterbach im Wahljahr 2025 – ohne Rücksicht auf die berechtigten Warnungen der Industrie und vor allem derjenigen, die tagtäglich die Patientenversorgung voller Leidenschaft sicherstellen, nahezu zwanghaft zum 15.01.2025 eingeführt. Mein Vorstandskollege Georg Pochhammer wird darauf in seinem Bericht auch noch einmal eingehen.
Die Forderungen und Fristen aus den Gesetzen stehen absolut nicht im Einklang mit der entsprechenden Durchführbarkeit. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass es eine extreme Unsicherheit sowohl unter den Patientinnen und Patienten als auch unter den (Zahn-)Arztpraxen im Umgang mit der „ePA für alle“ sowie den damit neu einhergehenden Prozessen, Verantwortlichkeiten und Pflichten gibt.
Der Gesetzeswortlaut des DigiG kann deshalb unserer Auffassung nach nur so interpretiert werden, dass regelhaft nur strukturierte Daten der Versicherten einzustellen sind, die als (pflichtweise) Anwendungsfälle bzw. MIOs („Medizinisches Informationsobjekt“) nach § 342 Abs. 2a, 2b, 2c SGB V in der ePA verarbeitet werden können. Konkret wird zum Einführungsdatum 15.01.2025 als solch ein Anwendungsfall nur die elektronische Medikationsliste (eML) als Teil der ePA zur Verfügung stehen. Diese kann von den Zahnarztpraxen eingesehen werden, löst aber keine Befüllungspflicht aus. Mitte des Jahres 2025 soll dann das MIO elektronischer Medikationsplan (eMP) an den Start gehen.
Bezüglich der allgemeinen. Behandlungsdaten nach § 341 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a SGB V („Daten zu Befunden, Diagnosen, durchgeführten und geplanten Therapiemaßnahmen, Früherkennungsuntersuchungen, Behandlungsberichten und sonstige untersuchungs- und behandlungsbezogene medizinische Informationen“) ist perspektivisch gem. § 342 Abs. 2b SGB V wohl mit einem von Bundesgesundheitsministerium (BMG) bzw. Digitalagentur/Gematik festzusetzenden MIO zu rechnen. Hier ist unsere Expertise und unser proaktives Handeln gefordert.
In der AG ePA haben wir deshalb die Inhalte eines zahnärztlichen Basiseintrages abgestimmt, der die Daten der eingehenden Untersuchung abbilden soll und auch die Möglichkeit der Einstellung des Zahnersatz-Heil- und Kostenplans (ZE-HKPs), des PAR-Status, des kieferorthopädischen Behandlungsplans und des HKPs im Zusammenhang mit der Behandlung von Kiefergelenkerkrankungen (Bema-Nrn. K1 bis K4) oder Kieferbrüchen umfasst.
Auch ein strukturierter Datensatz für ein Implantatpass ist bereits angedacht.
Bei der im Gesetz geforderten Einstellung von (ggf. unstrukturierten) Daten nach § 347 Abs. 2 SGB V, d. h. Daten zu Laborbefunden, Befundberichte aus bildgebender Diagnostik/Röntgenbildern, Befundberichte aus invasiven oder chirurgischen sowie aus nicht-invasiven oder konservativen Maßnahmen sowie eArztbriefe ist Folgendes zu beachten:
- Bezgl. der „Befundberichte“ ist nach Auffassung der KZBV eine enge Auslegung vertretbar im Sinne eines konkreten Berichts an einen Dritten mit der Zielrichtung, diesen über den Befund zu unterrichten (vergleichbar einem Arztbrief).
- Ein MIO Bildbefund ist derzeit in der mio42 GmbH unter Beteiligung der KZBV in Arbeit.
- Daten aus den Dentallaboren fallen nicht unter die Regelung, da Dentallabore nicht befunden.
- E-Arztbriefe sind nicht im zahnärztlichen Bereich vorgeschrieben.
Unter die Pflicht zur Dateneinstellung aus dem aktuellem Behandlungskontext auf Verlangen des Patienten oder der Patientin gemäß § 347 Abs. 4 SGB V fallen aus unserer Sicht insbesondere die Daten zu MIOs, die derzeit noch keine verpflichtenden ePA-Anwendungsfälle darstellen, wie der eImpfpass, das eKinderuntersuchungsheft und das eZahnbonusheft. Konkret für den zahnärztlichen Bereich bedeutet das: Die Daten aus dem eZahnbonusheft müssen eingestellt werden, sofern es der Patient/die Pateintin – ggf. nach einem entsprechenden Hinweis – wünscht. Neben solchen MIO-Daten dürften unter § 347 Abs. 4 SGB V aber ggf. auch sonstige unstrukturierte Behandlungsdaten fallen, deren Einstellung der Patient/die Patientin gegebenenfalls extra wünscht/verlangt. In diesen Fällen erfolgt die Einstellung der Daten – wenn überhaupt technisch möglich – unstrukturiert.
Wir führen derzeit intensive Gespräche mit den Herstellern der zahnärztlichen Praxisverwaltungssysteme, die mit Hochdruck daran arbeiten, die gesetzlich geforderten Rahmenbedingungen zu erfüllen. Von den PVS-Herstellern sind zahlreiche Unwägbarkeiten auszuräumen und Anstrengungen zu unternehmen, damit die Praxen technisch rechtzeitig auf die ePA vorbereitet sind.
Wir arbeiten – ebenfalls mit Hochdruck – an der Zusammenstellung von Infomaterialien für die Kassenzahnärztlichen Vereinigungen (KZVen) und die Praxen. Auch gilt es, die Praxisteams entsprechend zu schulen. Und zwischen den Updates der PVS-Hersteller und der Umsetzung in den Praxen wird nicht viel Zeit liegen. Denn trotz unserer klaren Stellungnahmen gegenüber dem BMG wird von diesem vernachlässigt, dass die Praxis-Teams den Umgang mit der ePA in all ihren Facetten zunächst sukzessive erlernen und in den Behandlungsalltag integrieren müssen. Das zeigt einmal mehr, wie sinnstiftende Digitalisierung nicht funktionieren kann.
Wie es doch geht, hat die Zahnärzteschaft eindrucksvoll zusammen mit dem GKV-Spitzenverband mit dem elektronischen Beantragungs- und Genehmigungsverfahren – Zahnärzte (EBZ) bewiesen, welches aus der Praxis nicht mehr wegzudenken ist.
Konsequenterweise gehen die Vertragspartner auf Selbstverwaltungsebene weiter in diese Richtung. Die zweite und somit nächste sinnvolle Anwendung für die Zahnarztpraxis nimmt derzeit Form und Gestalt an – der Datenaustausch zwischen Dental-Labor und Zahnarztpraxis, die sogenannte Anwendung „eLABZ". Die Basis für die Umsetzung bildet die konstruktive Zusammenarbeit zwischen KZBV, Verband Deutscher Dental-Software Unternehmen e.V. (VDDS) und Verband Deutscher Zahntechniker-Innungen (VDZI). Die technische Spezifikation ist bereits erstellt; nun bedarf es nur noch der Vereinbarung für den Austausch von Labordaten, die derzeit zwischen VDZI und GKV-Spitzenverband verhandelt wird. Mit dieser Anwendung wird aus der zahnärztlichen Praxis heraus ein zusätzlicher Schub für die sichere Kommunikation zwischen den Beteiligten im Gesundheitswesen generiert, der in Zeiten von Cyberangriffen und Datenleaks dringend benötigt wird, um das Angriffspotential auf die Daten in Zahnarztpraxen weiter zu reduzieren.
Qualitätsinstitut/Leilinien
Das „Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG)“ hat vom Gesetzgeber bekanntlich die Aufbereitung und Aktualisierung der Daten für den Bundes-Klinik-Atlas (BKA) übertragen bekommen. Der Start im Frühsommer war wie bereits berichtet holprig, der Aufbau der Website unausgegoren. Inzwischen ist ein thematischer Direkteinstieg in das Portal möglich, ohne umständlich die Suchfunktion bemühen zu müssen.
Die Beratungen zur neuen Leitlinie „Diabetes und Parodontitis“ haben nach mehrjähriger Unterbrechung Mitte des Jahres wieder Fahrt aufgenommen. Die KZBV hat sich intensiv an der finalen Abstimmung des Leitlinientextes beteiligt. Diese Leitlinie der Entwicklungsstufe S2k adressiert die wichtige bidirektionale Schnittstelle zwischen den beiden Volkskrankheiten Diabetes und Parodontitis und beschreibt auch Ansätze für deren Screening. Der Verabschiedungsprozess durch die beteiligten Fachgesellschaften und Organisationen läuft, sodass die Veröffentlichung zeitnah zu erwarten ist.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Bild: © KZBV/Darchinger