Statement von Martin Hendges in der Bundespressekonferenz am 19. Oktober 2023
Es gilt das gesprochene Wort.
Man muss wissen, dass jeder zweite Erwachsene daran leidet. Parodontitis ist nicht beschränkt auf den Zahn- und Mundbereich. Unbehandelt ist sie die häufigste Ursache für vermeidbaren Zahnverlust und steht in Verbindung mit Diabetes mellitus, kardiovaskulären Erkrankungen und weitere schwere Allgemeinerkrankungen. Eine Verbesserung der parodontalen Gesundheit würde zur Vorbeugung und Kontrolle dieser Erkrankungen beitragen. Daher war es auch eine „kleine Revolution“ für unseren Versorgungsbereich, als im Juli 2021 der Gemeinsame Bundesausschuss den Leistungsumfang für die GKV-Versicherten um eine neue, präventionsorientierte und einer bis zu drei Jahren andauernden Behandlungsstrecke zur Bekämpfung der Parodontitis erweitert hat. Die bis dato gültige Richtlinie entsprach schon seit Jahrzehnten nicht mehr dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse, was u. a. auch aufgrund von Zugangsvoraussetzungen dazu führte, dass die Anzahl der Behandlungen in einem deutlichen Missverhältnis zur Zahl der Krankheitsfälle lag.
Mitten in diese Einführungsphase grätschte das Spargesetz von Minister Lauterbach und entzieht somit der Parodontitisversorgung die finanziellen Mittel. Schon im Gesetzgebungsverfahren im letzten Jahr hatten wir vor den Folgen eingehend gewarnt. Deshalb hat der Deutsche Bundestag das BMG gesetzlich dazu verpflichtet, die Auswirkungen auf die Parodontitisversorgung bis zum 30. September 2023 zu evaluieren. Heute ist der 19. Oktober: Das Ergebnis dieser Evaluation liegt uns bis heute nicht vor!
Um den Diskurs zu diesem wichtigen Versorgungsthema anzustoßen, haben wir gemeinsam mit der Wissenschaft, der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie, einen eigenen Evaluationsbericht erarbeitet und diesen im September veröffentlicht. DenBericht finden Sie auf unserer Website. Er belegt, welche fatalen Auswirkungen das GKV-FinStG bereits jetzt schon entfaltet. Eklatant ist der Einbruch bei den Neubehandlungsfällen: Mit rund 92.400 Neubehandlungsfällen im Juli 2023 sind wir bereits jetzt auf das niedrige Niveau vor Einführung der neuen Behandlungsstrecke zurückgefallen. Und ein Ende dieses Trendverlaufs ist nicht absehbar.
Im Gegenteil: 2024 verschärft sich die Problematik durch das GKV-FinStG noch weiter, da nur noch die Mittel für die unterstützende Parodontitistherapie bei bereits laufenden Behandlungen aus den Vorjahren zur Verfügung stehen. Für neue Behandlungsfälle stehen dann keine Mittel mehr zur Verfügung – mit fatalen Folgen für die Gesundheit der Bevölkerung.
Behauptet Minister Lauterbach also nach wie vor, dass keine Leistungen gekürzt werden, ignoriert er die Konsequenzen seines Handelns! Noch absurder wird das Ganze, wenn man die Folgekosten nicht frühzeitig behandelter Parodontitis betrachtet: Im zahnärztlichen Bereich summieren sich diese auf rund 200 Mio. Euro jährlich. Schlimmer noch: Die indirekten Krankheitskosten von unbehandelter Parodontitis, z.B. durch Produktivitätsverlust aufgrund der Abwesenheit vom Arbeitsplatz,liegen laut einer international vergleichenden Studie für Deutschland bei fast 35 Mrd. Euro.
Zusätzlich ist von deutlich negativen Auswirkungen auf die Allgemeingesundheit der Bevölkerung und dadurch von Folgekosten auch im ärztlichen Sektor auszugehen – insbesondere im Zusammenhang mit Diabeteserkrankungen.
Bereits seit Jahrzehnten hat die Zahnmedizin mit ihrer präventionsorientierten Ausrichtung eindrucksvolle Erfolge erzielt. So ist der Anteil der zahnärztlichen Versorgung an den GKV-Gesamtausgaben in den vergangenen 20 Jahren um fast ein Drittel auf 6,1 Prozent gesunken.
Mein dringender Appell geht daher insbesondere an Bundesgesundheitsminister Lauterbach, aber auch an die Ampel-Koalition: Nehmen Sie die Leistungen der Parodontitistherapie noch in diesem Jahr aus der Budgetierung heraus. Für andere Präventionsleistungen ist dies im Gesetz bereits verankert. Alles andere hat fatale und vor allem dauerhafte Auswirkungen auf die Patientenversorgung.
Bild: © ABDA/Wagenzik