Artikel
Beschluss
Durch die mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) wiedereingeführte strikte Budgetierung der Gesamtvergütungen in der vertragszahnärztlichen Versorgung fehlen die finanziellen Mittel, um die neue, präventionsorientierte Parodontitistherapie flächendeckend auf ein der hohen Krankheitslast angemessenes Niveau zu heben. Die Auswirkungen auf die Versorgung sind fatal, wie insbesondere der Rückgang der Neubehandlungsfälle im Jahr 2023 auf das niedrige Niveau vor Einführung der neuen PAR-Behandlungsstrecke im Rahmen des Evaluationsberichtes der KZBV und der DG Paro belegt.
Wenn die Politik nicht jetzt, in diesem Jahr mit Wirkung für das gesamte Jahr 2024, handelt, werden die Leistungen der neuen präventionsorientierten Parodontitistherapie in 2024 nicht erbracht werden können. Um die Vergütung der Leistungen zu ermöglichen und so die geforderte Bekämpfung der großen Volkskrankheit Parodontitis im nötigen Umfang zu realisieren, fordert die Vertreterversammlung der KZBV, wie für andere Präventionsleistungen mit dem GKV-FinStG bereits vorgesehen, auch die Leistungen der Parodontitistherapie extrabudgetär zu vergüten.
Begründung
Mit dem GKV-FinStG wurde für 2023 und 2024 im zahnärztlichen Versorgungsbereich eine strikte Budgetierung eingeführt. Zugleich hatte der Deutsche Bundestag das Bundesministerium für Gesundheit dazu verpflichtet, die Auswirkungen des Gesetzes auf den Umfang der Versorgung der Versicherten mit Leistungen zur Behandlung von Parodontitis bis zum 30. September 2023 zu evaluieren.
Der am 23. Oktober 2023 vorgelegte Evaluationsbericht des BMG kommt zu dem Ergebnis, dass durch das GKV-FinStG eine Verschlechterung der Versorgung von Versicherten mit Leistungen der Parodontitisversorgung nicht festgestellt werden könne. Damit ignoriert das BMG entscheidende Fakten. Die Evaluierung ist eine statische Momentaufnahme und Ausweis einer kurzsichtigen, fehlgeleiteten Kostendämpfungspolitik, die die Versorgungsperspektive 2024 und die Folgejahre nicht in den Blick nimmt. Aufgrund eindeutig rückläufiger Neubehandlungsfälle, aktuell im September mit einem Rückgang von rund 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat droht ein Scheitern der neuen präventionsorientierten Parodontitisversorgung. Damit ist auch das mit der PAR-Richtlinie des G-BA verbundene Versorgungsziel, die Parodontitisbehandlung in der GKV auf den aktuellen medizinischen Stand der Wissenschaft zu bringen und die Behandlungszahlen aufgrund der vorhandenen Krankheitslast in der Bevölkerung nachhaltig zu steigern, in weite Ferne gerückt. Ausgehend von der enorm hohen Krankheitslast und des Einflusses der Parodontitis auf die Mund- und Allgemeingesundheit, würden sich durch politisches Nichthandeln die bereits abzeichnenden Negativfolgen für die Patientinnen und Patienten noch verschärfen. Die Politik muss jetzt handeln, um eine Katastrophe für die Patientenversorgung zu verhindern.
Die KZBV und die Deutsche Gesellschaft für Parodontologie (DG PARO) haben in einem eigenen Evaluationsbericht die Auswirkungen des GKV-FinStG auf die Parodontitisversorgung genau analysiert. Dieser Bericht zeigt die Negativfolgen der Budgetierung für die Parodontitisversorgung dezidiert auf.
Parodontitis ist eine komplexe Entzündungserkrankung des Menschen, an der jeder zweite Erwachsene leidet. Unbehandelt ist sie die häufigste Ursache für vermeidbaren Zahnverlust. Darüber hinaus steht Parodontitis in direkter Wechselwirkung mit schweren Allgemeinerkrankungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes mellitus. Die Behandlung der Parodontitis in der GKV entsprach über Jahrzehnte nicht mehr dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse. Zudem stand die Anzahl der Behandlungen in einem deutlichen Missverhältnis zur Zahl der Krankheitsfälle. Die zum 1. Juli 2021 in den GKV-Leistungskatalog aufgenommene neue Parodontitistherapie sollte dies ändern. Diese neue Parodontitistherapie mit einer bis zu dreijährigen Behandlungsstrecke befand sich allerdings mit Inkrafttreten des GKV-FinStG immer noch in der Einführungsphase, in der ihr die Budgetierung nun die notwendigen finanziellen Mittel entzieht.
Der Evaluationsbericht zeigt anhand einer Analyse aktueller Abrechnungsdaten, dass die Parodontitis-Neubehandlungsfälle bei einer weiterhin unverändert hohen Krankheitslast im 1. Halbjahr 2023 – also mit Einführung der strikten Budgetierung – bundesweit signifikant und in hohem Maße zurückgingen.
Ebenfalls stellt der Bericht heraus, dass die im Rahmen der Budgetierung zur Verfügung stehenden Mittel prioritär für die Weiterbehandlung der in den Vorjahren begonnenen Fälle aufgewendet werden müssen. Unter diesen gesetzlichen Rahmenbedingungen und bei Fortsetzung der rückläufigen Entwicklung der Neuversorgungsfälle würden die durch das GKV-FinStG stark beschnittenen Budgets im Laufe des 1. Quartals 2024 keine neuen PAR-Versorgungsfälle mehr zulassen. Dies käme einer drastischen Leistungskürzung gleich – mit entsprechend negativen Folgen für die Mund- und Allgemeingesundheit der Bevölkerung.
Überdies zeigt der Bericht, dass die negativen Konsequenzen der Budgetierung des GKV-FinStG auf den Umfang der Parodontitisversorgung langfristig für das GKV-System mit erheblich höheren Kosten verbunden sind. Allein im zahnärztlichen Bereich summieren sich diese Folgekosten auf rund 200 Mio. Euro jährlich. Hinzukommen indirekte Krankheitskosten durch Parodontitis, die eine international vergleichende Studie für Deutschland mit rund 34,79 Mrd. Euro angibt. Eine konsequente Prävention und Therapie von Parodontitis würde diese Kosten zumindest reduzieren. Dass ein jahrzehntelang von der Vertragszahnärzteschaft praktizierter präventiver Versorgungsansatz sowohl im Hinblick auf die Mundgesundheit als auch die GKV-Ausgaben zielführend ist, zeigen die kontinuierlich sinkenden Anteile der zahnärztlichen Ausgaben an den Gesamtausgaben der GKV. Der Anteil ist von rund 9 Prozent im Jahr 2000 auf 6,11 Prozent in 2022 gesunken. Sollte die Bundesregierung im Zuge der Evaluation an der mit dem GKV-FinStG eingeführten strikten Budgetierung der Parodontitisversorgung festhalten, werden sich die Negativfolgen für die Patientenversorgung in den Folgejahren sogar noch verschlimmern.